Klatsch und Tratsch

Ein Pündericher in Nigeria Teil VIII

Falls Sie die bisherigen Teile nicht mitbekommen haben – hier eine Übersicht:
Ein Pündericher in Nigeria
Ein Pündericher in Nigeria Teil II
Ein Pündericher in Nigeria Teil III
Ein Pündericher in Nigeria Teil IV
Ein Pündericher in Nigeria Teil V
Ein Pündericher in Nigeria Teil VI
Ein Pündericher in Nigeria Teil VII

Stephan Mertes aus Awgu

Awgu/Enugu State/Nigeria

Ghana, die Zeit, danke Ria und wie es dazu kam…

So meine Lieben, ja es ist der achte Brief, ich kam am 10.8.2010 hier in Awgu an und nun ist der 10te Mai schon Geschichte, das bedeutet es sind schon über neun Monate vorbei und um ehrlich zu sein, kann ich es gar nicht glauben, wie einem die Zeit so durch die Finger rieseln kann. Ich rede schon wie eine alte Oma, die immer darüber meckert, wie schnell die Jahre dahinfliegen und dabei bin ich gerade erst 20 geworden, aber dazu später mehr.

Ich weiß ich habe mir diesmal wirklich Zeit gelassen, aber ich war auch viel unterwegs und habe viel erlebt! Ich hoffe wie immer es gefällt euch, was ich da fabriziert habe!

Naja, so ist das mit der Zeit und so sieht man auch mal, dass die Einsteinsche Relativitätstheorie stimmt , nämlich das unter anderem auch die Zeit nicht absolut, sondern relativ ist, nicht nur physikalisch, sondern auch auf einer ganz anderen Ebene, nämlich der, der subjektiven Wahrnehmung eines Jungen in Westafrika . Dass die Zeit so relativ sein kann und in ihrer „Länge“ so extrem variieren kann hätte ich mir allerdings nicht gedacht…

Naja, ich dachte ich fange dieses Mal nochmal damit an euch zu erzählen, was ich gelesen habe, denn es ist nicht nur einfach immer eine Nebensache, sondern irgendwie nehmen diese Geschichten großen Einfluss auf mein Leben hier und meine Handlungen. Wenn man z.B. nach dem Lesen eines weiteren Buches von Charles Bukowski aus dem Haus geht, sieht man die Welt schon irgendwie mit anderen Augen, als wenn man sich vor dem Verlassen des Zimmers „Der kleine Prinz“ oder „die Leiden des jungen Werther“ zu Gemüte geführt hat.

So also hier die kleine Aufzählung: „Kaputt in Hollywood“ eine Sammlung von Kurzgeschichten von Bukowski, „Siddhartha“ von Hesse, eine Geschichte über ein spannendes und inspirierendes Leben eines Inders und „Wer lieben kann ist glücklich“ auch ein Hesse Buch, bei dem Liebesgeschichten und Gedichte des großen Mannes geschickt und bewegend miteinander verknüpft werden und auch gelesen wurde „Papillon“ eine von Spannung strotzende Geschichte eines tollen Mannes, der aus Gefängnissen ausbricht und ein eher ungewöhnliches Leben führt, übrigens eine wahre Begebenheit! Natürlich gibt es noch andere Sachen, die ich gelesen habe, aber mir scheint es etwas sinnlos euch zu erzählen, welche Bücher mir nicht besonders gefallen haben, deswegen spreche ich lieber über die Bücher, die mir weitergeholfen, mich beeinflusst und geprägt und die mir gefallen haben!

So und jetzt gibt’s nochmal eine etwas schlechte Nachricht. Ich hatte euch ja im letzten Brief davon erzählt, dass es mir gesundheitlich etwas schlechter ging und dass ich einen Malariatest machen würde. Das geschah dann auch und siehe da ein paar Tage später lag ich in „Ihe“ einem kleinen Dorf im Bistum für einen Tag + Nacht + Tag im Krankenhaus. Für euch wäre es kein Krankenhaus gewesen, es waren Löcher in der Decke, keine Mosquitonetzte an den Fenstern und Krankenbetten, die wahrscheinlich aus einer Zeit um 1920 stammen. Für mich war es kein großes Problem, da ich irgendwie die ganze Zeit schon wenig Stress hatte mit solchen Umgebungen klarzukommen, es war von Anfang an irgendwie für mich nicht besonders schlimm mich daran zu gewöhnen ohne Strom und fließendes Wasser zu leben!

Alle Spritzen und Infusionsnadeln waren natürlich neu und vakuumverpackt (nur um euch zu beruhigen). Ich hatte dieses Mal anscheinend eine etwas schlimmere Malaria als beim letzten Mal und bekam 8 Infusionen und etliche Tabletten. Ein bisschen dumm war, dass die netten Schwestern, die mir die Nadeln für die Infusionen setzten nicht besonders geschickt vorgingen und ich so die 8 Infusionen auch nicht durch ein Einstichsloch, sondern durch sieben eingeflößt bekam. Das bedeutet, Nadeln verrutschten mehrfach schmerzlich in meinem Armen oder Händen, oder eine Vene wurde nicht nur an- sondern durchstochen, sodass eine Infusion an dieser Stelle nicht mehr möglich war.

Naja ich glaube dass das zwar nicht besonders witzig ist, aber wenn ich mich darüber aufgeregt hätte wäre es sicherlich nicht besser gelaufen, von daher nahm ich diese kleinen Ausrutscher eher gelassen hin und regte mich auch nicht über die ganzen blauen Flecken der Einstiche auf, die auch noch zwei Wochen später schmerzten. Als ich wieder zu Hause war und nur noch die Tabletten über zehn Tage fertig nehmen musste und meine Laune proportional zu meiner Gesundheit wieder stieg, fühlte ich mich dann auch irgendwann bereit wieder zu arbeiten, das heißt, in die Schule zu gehen und endlich meine Revision, also die Wiederholung des Lehrstoffes durchzuführen. Ich bettelte ein paar Tage, bis auch Stan und die Schwester zustimmten, dass ich es versuchen könnte und ich fand mich dann dabei, wie ich in Windeseile in der Schule versuchte noch alle Klassen mindestens einmal zu besuchen um sie bestmöglich auf das Examen vorzubereiten.

Irgendwie funktionierte das auch ganz gut und als französische und deutsche Arbeiten geschrieben waren, saß ich da in der Schule vor 1627 Examen und begann dann zu korrigieren, einzutragen und Noten auszurechnen. Ich hatte ja viel Zeit durch meine Krankheit verloren und versuchte mein Bestes wenigstens jetzt nochmal richtig „Dampf“ zu machen. Ich schaffte es irgendwie dadurch, dass ich in der Schule, zu Hause in meinem Zimmer und sogar nachts noch arbeitete, alle Examen in 4 Tagen fertig zu bekommen. Als ich mit dem Berg von Arbeiten in die Schule kam und meine Kollegen mich sahen, die alle „nur“ um die 500-600 Arbeiten zu verbessern hatten, wurde ich in höchsten Tönen gelobt und schlief dann guten Mutes nach einer Stunde in meinem „Büro“ (einem Zimmer in einem Rohbau, das keine Fenster Türen oder festen Boden hat) im sitzen auf dem Tisch ein.

Das fast Unmögliche war geschafft, ich hatte wirklich alle meine Arbeit für diesen Term getan und begann nun damit in den folgenden Tagen, den anderen Lehrern beim Korrigieren und vor allem beim Ausrechnen der Zeugnisnoten zu helfen. Dabei fiel nicht nur einmal das Lob, mein Kopf würde arbeiten wie ein Computer. Mir wurde jeden Tag wieder gedankt, weil ich hunderte von Noten ausrechnete und einige Lehrer revanchierten sich dann am nächsten Tag mit einer frischen Mango, Papaya, Orange oder Banane, was ich natürlich mit offenen Armen begrüßte.

 

Mein kleines aber feines Büro!

Über die Woche der Examen gibt es noch etwas Schönes zu berichten. Kingsley Akachukwu, der Computerlehrer der Schule und ich hatten durchgesetzt in den Pausen einen kleinen Fernseher aufzustellen und zeigten den Kindern dann immer Tom und Jerry, was mit einer Freude aufgenommen wurde, dass es mich in jeder Pause wieder mit einer unglaublichen Euphorie erfüllte. Es war wirklich sehr schön die ganzen Schüler da sitzen zu sehen, eng gedrängelt auf Boden oder Bänken und wie sie wie hypnotisiert auf den klitzekleinen Bildschirm starrten.

Die Schüler beim Fernsehen. Es war wirklich ein sehr kleiner Fernseher, aber niemand beschwerte sich! Schön ist auch die Schulglocke rechts oben und der tolle, riesige Mangobaum!

Nach der anstrengenden Woche der Examen gingen die Schüler in die Ferien. Die anderen Lehrer und ich hatten dann noch eine Woche zu bleiben und Zeugnisse fertig zu schreiben etc. Eine sehr langweilige Woche für mich, da ich ja wie gesagt nicht viel mehr zu tun hatte, außer Kopfzurechnen. Sehr nervig waren auch die diversen Lehrermeetings, die von der Headmistress (Rev. Sister Chidimma Ezenagu) einberufen wurden und die sich fast ausschließlich darum drehten, dass die Chefin immer dieselben drei Lehrer vor versammelter Mannschaft zur Sau machte. Diese Lehrer werden dann als dreckig, dumm, unnütz, wertlos (alles von Chidimma benutze und keine ausgedachten Ausdrücke) bezeichnet und auch privater und unsachlicher fertiggemacht.

Niemand traut sich den Mund aufzumachen, da Chidimma dann ohne weiteres das Gehalt der Lehrer kürzt. Eine unglaubliche Frechheit und vor allem eine systematische Art den Teamgeist eines Kollegiums zu zerstören. In einem Meeting hatte Die Sister dann einen Fragebogen für jeden mitgebracht, auf dem der Namen eines jeden Lehrers mit zwei auszufüllenden Spalten zu finden war. Sie wollte von allen Lehrern, dass jeder etwas Gutes und etwas Schlechtes über den anderen schreibt. Was ist das bitte für ein Schwachsinn? Ich habe meinen Bogen nach bestem Gewissen ausgefüllt. Ich schreib über jeden Lehrer falls mir etwas einfiel etwas Gutes und die andere Spalte blieb bei allen Lehrern außer zweien frei, bei denen ich schrieb, dass sie meiner Meinung nach zu viel Schlagen.

Irgendwann wurde es mir einfach zu viel und ich beschloss dieser Tyrannin, die erstens für ihren Job nicht ausgebildet und zweitens total überfordert, inkompetent und zudem sehr sadistisch ist, die Stirn zu bieten, da es die anderen Lehrer, die ja von ihr abhängig sind nicht können. Am Ende jedes Meetings fragt die Sister mich immer etwas herausfordernd, was ich noch zu sagen hätte, nachdem ca. 70 Prozent des Meetings auf Igbo und nicht auf Englisch gehalten wurden. Nach einem Meeting, als sie eine Lehrerin fertig machte, weil sie gefragt hatte, ob sie sich einen Tag frei nehmen könnte um in die Stadt zu fahren um die fertiggedruckten Einladungsschreiben für ihre eigene Hochzeit abzuholen, kam wieder die abschließende Frage an den Onyeocha, was ich denn dazu zu sagen hätte.

Ich stand auf und berichtete ersteinmal darüber, dass ich sehr oft die Klasse der besagten Lehrerin (6b) besuche und dass mir persönlich nie etwas wie Faulheit, grobe Fehler in ihrer Arbeit, Ungepflegtheit, Unsauberkeit, Verspätungen oder auch andere Nachlässigkeiten aufgefallen wären, die von Chidimma zuvor alle angesprochen wurden. Ich sagte weiter, dass diese Frau für mich eine sehr hart arbeitende und auch gute, ausgeglichene und intelligente Lehrerin sei.

Zum Abschluss sagte ich noch, dass ich nicht verstehe, warum jetzt auf einmal diese Lehrerin die seit Jahren auf dieser Schule arbeitet einer so extremen Kritik ausgesetzt wird, vor allem im Beisein des gesamten Kollegiums (Was geht diese Sache bitte die anderen Lehrer und mich an?) und dass ich nicht glauben könne, dass sie in den letzten drei Tagen (die Zeit seit der ich ihre Klasse nicht mehr besucht hatte) in ihrer Arbeitsmotivation eine so krasse 180 Grad Wendung gemacht habe.

Daraufhin bekamen alle anderen Lehrer den Mund nicht mehr zu, sie starrten mich ungläubig an, während Chidimma auf den Boden sah (Sie schaut einem selten/ nie in die Augen wenn sie sich unterhält), weil keiner glauben konnte, dass jemand „Der achsogroßen Nonne“ widersprechen könnte. Ich hatte zwar widersprochen, war aber in jeder Sekunde sachlich, objektiv und nie ausfallend geworden. Nach ca. fünf Minuten (gefühlten 50) in denen sich niemand etwas zu sagen traute begann die Chefin dann damit mir zu sagen, ich solle aufpassen was ich sage und dass wir beide keinesfalls auf einer Ebene stehen würden, sondern dass sie von uns beiden die höhere Stellung habe.

Dann begann sie langsam persönlich zu werden, sie sagte ich wäre ungezogen und frech und ich hätte nie gelernt einen Älteren zu respektieren. Dann hetzte sie weiter: „Als du hier ankamst warst du nett und ein guter Junge, du hast dich zu einem Unruhestifter verändert!“ Ich war zuerst ein wenig verblüfft auf so eine unsachliche und schwachsinnige Antwort zu stoßen, aber eigentlich hatte ich so etwas schon irgendwie erwartet. Ich atmete tief durch und begann mit einem Lächeln auf den Lippen zu sagen: „Sister, ich respektiere dich. Als meine Chefin, als Nonne und sogar als jemanden der älter ist und somit bestimmt eine größere Lebenserfahrung hat als ich, aber meines Erachtens nach kann ich nur jemanden respektieren, der auch mit anderen und mir, grade wenn sie in einer niedrigeren Stellung sind, zumindest als Mitmenschen respektvoll umgeht.

Ich denke, dass gerade Jemand in einer höheren Stellung und vor allem eine Nonne seine Macht dazu benützen sollte, um etwas wie Ungerechtigkeit oder die Diskriminierung eines Einzelnen oder Schwachen zu bekämpfen und nicht um andere es negativ spüren zu lassen, dass man Macht hat.“ Ich erklärte weiter: „Wir beide sind zwar in einem Arbeitgeber- Arbeitnehmer Verhältnis, indem ohne Zweifel du die höhere Stellung besetzt, aber ich bin nicht dein Hund, genauso wenig wie die restlichen Lehrer.“ Danach sagte ich noch zu dem Vorwurf ich hätte mich zum Schlechten verändert, dass ich mich im Bezug auf sie wirklich verändert hätte, da ich als ich kam nicht gewusst habe, was für eine Art Mensch sie ist und dass mir nicht bewusst war, wie sie es pflegt mit ihren Angestellten umzugehen.

Danach stand ich auf, begab mich an meine Arbeit und als es 13:30 Uhr war ging ich, nachdem ich mich von allen Lehrern und auch Sister Chidimma, die noch immer im Meeting zusammensaßen, verabschiedet hatte, besten Gewissens nach Hause. Ich könnte euch jetzt ohne zu lügen noch mindestens zehn weitere solche Sachen erzählen, nicht nur wie sie mit Lehrern rumspringt, sondern auch wie sie Schüler beleidigt und vor der ganzen Schule bloßstellt. Am nächsten Tag, als ich in meinem Büro am arbeiten war kamen diverse Lehrer zu mir und klopften mir sowohl verbal als auf physisch auf die Schulter und mir wurde klar, dass ich mit meiner Meinung nicht alleine stehe. Ein paar erzählten mir auch, was die Nonne noch gesagt hatte, nachdem ich das Meeting verlassen hatte, nämlich dass es unglaublich aufsässig und unverschämt wäre mir so etwas rauszunehmen und ihr zu wiedersprechen.

So ging dass noch auf einigen Meetings, dass sie wieder Einzelne vor der gesamten Lehrerschaft fertig machte und jedes Mal stand ich auf und erklärte sachlich meinen Standpunkt. Die Schwester hat mittlerweile angefangen mich so oft es geht in die Pfanne zu hauen und mich bei anderen wie z.B. auch bei Father Stan anzuschwärzen, der mir seitdem auszuweichen sucht und mich sehr distanziert behandelt. Zumindest kommt es mir so vor und es fühlt sich so an. Das ist sehr schade, da Stan ohne Zweifel bis jetzt immer derjenige gewesen war, zu dem ich die freundschaftlichste Beziehung hatte. Wir waren ja wirklich Kumpels.

Und mir scheint als würde sich Stan seitdem ich mit Chidimma immer wieder Probleme habe immer mehr von mir abwenden, was ich später im Brief noch einmal ansprechen werde. Naja, wie ihr seht läuft nicht immer alles perfekt an der Lehrerfront. Es ist nur etwas schade, dass Sister Chidimma über Stan jetzt auch, anscheinend erfolgreich, versucht mir Probleme im Privatleben zu machen. Was soll ich sagen? Ich hoffe das renkt sich alles wieder ein. Das einzig Gute ist, dass Chidimma zwar über mich Unwahrheiten und Horrorstories erzählen kann, aber niemals über meine Arbeit in der Schule, da ich mir da bis jetzt wirklich einige Beine ausgerissen habe. Und dass wird jeder der anderen Lehrer und jeder Schüler ohne weiteres bestätigen.

Ich hatte beschlossen, es mir in den Ferien erst mal in Ghana ein bisschen gutgehen zu lassen, ein bisschen Abstand zu gewinnen und dann mit Stan nochmal zu sprechen, damit alles wieder in Ordnung gebracht wird. Ob Sister Chidimma mich mag oder nicht ist mir ehrlich gesagt so egal wie fast nichts! Also genieße ich einfach jeden Tag in der Schule und jedes Meeting, bei dem sie mich am liebsten erschlagen würde. Ich lasse mich von ihr nicht provozieren und vor allem nichts kaputtmachen, da ich sowohl das Leben hier als auch und vor allem meine Kinder und meine Arbeit mit ihnen zu sehr liebe!

Vorbereitungen für Ghana…

Nachdem ich auf meiner ersten Reise nach Ghana einige deutsche Mitstreiter gefunden hatte, wurde ohne Probleme der Kontakt zu einem Mann aus Ghana namens Ken hergestellt, der im ghanaischen Parlament sitzt und großen Einfluss hat. Nachdem ich ihm meine Passdaten per E-Mail gesendet hatte und er alle Schritte für eine problemlose Visabeschaffung in die Wege geleitet hatte und ich mit der Botschaft gesprochen hatte, war das Einzig zu besorgende ein Brief meines Bistums, der bestätigen sollte, dass ich hier arbeite und lebe. Eigentlich kein Problem. Ich sagte Stan Bescheid, er solle mir bitte einen solchen Brief ausstellen, damit ich ihn zu einer befreundeten Nonne in Abuja schicken könnte, damit sie für mich auf die Botschaft geht und ich mir so den kosten- und nervenaufwendigen Flug nach Abuja sparen könnte!

Ich bettelte an Stan für mehr als drei Wochen herum, bis er mir eines Abends, nachdem die Zeit in der die Nonne in Abuja Zeit für meine Angelegenheiten hatte schon abgelaufen war, endlich widerwillig den Brief gab. Ich hatte durch diese kleine Lustlosigkeit von Stan ca. 300 Euro verloren, da der Trip nach Abuja und zurück und Fahrer und Aufenthalt dort, ja nicht ganz preiswert ist. Naja, immer noch beschwerte ich mich nicht, da ich ja immer bescheiden sein möchte und das auch bin, um so wenig Aufwand wie möglich zu produzieren.

Ich war nicht grade in bester Laune als ich in Abuja ankam, aber als ich Chinedu, meinen Fahrer vom letzten Mal, wiedersah, ging es mir schon besser und als wir fast erfolgreich aus der Botschaft kamen (mir wurde gesagt ich solle bitte am nächsten Tag wiederkommen und mein Pass wurde angenommen, d.h. normalerweise immer, dass man das Visum bekommt), gönnte ich mir in einem Laden namens Mr. Big’s einen Hamburger mit Pommes, zwar der schlechteste Hamburger seit Jahren und die aufgeweichtesten Pommes aller Zeiten, aber mir tat es gut, nochmal etwas aus meinem Kulturkreis zu essen. Als ich wieder im Dracc, einem dieser coolen Klosterhotels in denen ich immer absteige war, traf ich wie immer wieder ganz ganz tolle und interessante Menschen.

Am ersten Abend war es eine irische Nonne, die nicht nur irisch, sondern auch ein bisschen irre war, aber auf eine nette Art… Am Zweiten Abend, als ich mir nachmittags mein Visum abgeholt hatte, zwar keinen Rückflug, aber dafür zwei wunderbare Bilder erstehen konnte, traf ich ca. 25 junge afrikanische Studenten im Alter zwischen 20 und 25 Jahren, von denen jeder aus einem anderen afrikanischen Land kommt. So kam es, dass ich jetzt, wenn ich z.B. nach Südafrika, Gambia, Äthiopien oder z.B. Tansania oder Ruanda reisen möchte, mir um ein Hotel oder einen Reiseführer schon mal keine Gedanken machen muss.

Ganz besondere Gespräche, auf Igbo, Englisch und Französisch. Natürlich habe ich immer angeboten, mich bei einem zukünftigen Deutschlandaufenthalt zu besuchen. Worku, ein junger Mann aus Äthiopien wird im August für einen Monat nach London reisen und ich habe mir fest vorgenommen ihn dann Anfang September, wenn ich gerade wieder zu Hause bin in London einen kleinen Besuch abzustatten. Ist das nicht eine unglaublich gute Idee? Obwohl der Grund, warum ich nach Abuja musste ein eher unglücklicher war, hatte ich dann also doch drei wunderbare Tage in der Hauptstadt!

Ich kam dann Donnerstagabend zurück und buchte meinen Flug von Lagos nach Accra für Montag den 18ten April 2000 und elf. Und so kam es, dass ich Montagmorgens nach einer Falschinfo, dass mein Flug nach Lagos um sieben Uhr morgens losgehen würde, von halb sieben bis halb fünf Uhr nachmittags im nationalen Flughafen in Enugu festsaß und mich damit beschäftigte das Buch „Papillon“ fertigzulesen und einige dieser Zeilen zu tippen. Ich hatte zwar den ganzen Tag noch nichts gegessen, aber mein Bauch war voller Euphorie und Vorfreude Köbi in Accra zu treffen und mit ihm ein paar wunderschöne Wochen zu verbringen!

Naja und so wie das in guten Geschichten und vor allem in Afrika ist, passiert immer etwas Unerwartetes! Ich ging irgendwann zu einer Art Infoschalter in dem eine relativ junge und sehr sympathisch aussehende Frau saß, mit der ich ca. eine viertel Stunde über Fluggesellschaften und die ständigen Verspätungen lästerte. Und dann,….dann kam Ben, ein junger Mann von 21 Jahren, der sich plötzlich zu uns gesellte und der mich, nachdem wir unsere Namen kannten zu einem, für nigerianische Verhältnisse, völlig überteuerten Bier einlud.

Ich trank also mit ihm ein Bier und wir fanden raus wie gut wir uns verstanden. Als dann endlich das Flugzeug landete und ich mich neben einer netten älteren Frau und ihrer wunder-wunderschönen ca. vier Jahre alten Tochter wiederfand, verlor ich meinen neuen Freund Ben ehrlich gesagt etwas aus den den Augen. Naja aber wie gesagt, wir waren ja in Afrika und so wartete ich ein bisschen am Ausgang des Flughafens, bis Ben meinen Weg kreuzte und ich ihn mit den Worten: „Ich bin dir noch mindestens ein Bier schuldig!“ begrüßte.

Zwei Minuten später saß ich mit ihm in einem Auto auf dem Weg zu dem Haus seines Bruders. Ich sagte dann im Auto irgendwann, dass ich aber nochmal zum internationalen Flughafen müsste und dass ich ihm wie gesagt noch ein „kühles Blondes“ schuldig sei. Der Fahrer ließ uns dann ca. im selben Moment mitten in Lagos in irgendeiner dunklen Nebenstraße raus, auf der uns sofort zwei Plastikstühle angeboten wurden. Wir setzten uns, redeten, tranken dann doch vier Bier und als ich mich irgendwann umsah, war es Nacht und schon nach halb zwölf und ich saß mit einem fremden in einer der größten Städte Afrikas irgendwo, in Lagos (rund zehn Millionen Einwohner), auf der Straße.

Wir machten uns aber trotzdem irgendwann auf den Weg, hielten einige Motorräder an, bis endlich jemand einwilligte uns zu dem besagten Flughafen zu fahren. Das hieß dann ca. zwanzig Kilometer durch eine Weltstadt, nachts, mit einem schweren Rucksack und einem Gitarrenkoffer mit kaputtem Griff, zu dritt auf einem Motorrad, mit einem krassen Tempo, uns zwischen Autos durchzuschlängeln. Ich hatte schon nach der Hinfahrt Muskelkater in meinem Arm, der aber vergessen war, nachdem ich endlich mein langersehntes Ghanaticket (die Vorbestellung wurde aufgrund von zu häufig vorkommendem Kreditkartenbetrug storniert) in den Händen hielt.

Das änderte aber leider nichts daran, dass wir beide (wir Idioten) immer noch alleine in Lagos auf der Straße standen, während einer Tageszeit, in der es sich in Lagos nur die mutigsten Fahrer noch trauen ihren Job zu machen. Wir schafften es und kamen irgendwann dann auch an. Ich übernachtete in Victory-Garden-City, einer „Gated community“ also in einem Stadtteil, der durch Mauern und Schranken abgetrennt ist vom wirklichen Leben. Das einzige was mich vor lauter Dekadenz nicht kotzen ließ war, das wir zwei noch ca. 1,5 Stunden wie Penner durch diese feine Gegend liefen, bis wir unser Quartier fanden.

Am nächsten Morgen beschiss ich den Fahrer, der mich zum Flughafen brachte um 1000 Naira, da ich einfach kein Geld mehr hatte und stieg müde ( seit 3 Tagen nur ca. 3 Stunden geschlafen) und hungrig ( seit zwei vollen Tagen nichts gegessen und der dritte Tag fing gerade an) in meinen Flieger nach Accra.

Nach einem wirklich wunderschönen Flug von ca. 66 Minuten, entlang der Westafrikanischen Küste, bei geringer Höhe, landete ich nun endlich im gesegneten Land und traf auch sofort Köbi. Mindestens zehn unglaublich schwere Steine fielen mir vom Herzen, als ich endlich meinen Freund in die Arme schließen konnte. Was hatte ich nicht alles gemacht? Ich war nach Abuja gefahren, hatte mit Priestern diskutiert, hatte gefühlte Tage auf Flughäfen verbracht und zu guter Letzt auch noch eine gar nicht so sichere Aktion in Lagos gedreht, um endlich da zu sein.

Und dann fing es an, der wunderschönste Urlaub meines ganzen Lebens. Zuerst fuhren wir ein bisschen durch Accra und fanden uns in unserem „Quartier“ in Uso, einem Stadtteil Accras wieder, wo wir die Nacht verbringen wollten. Übrigens bei der Halts Armee, weil das so schön billig war. Natürlich hatten wir beide uns viel zu erzählen und nachdem wir in einem Irish Pub und in einigen anderen Bars rausgeschmissen wurden, weil es einfach schon zu spät war, setzten wir uns einfach an einem kleinen Spot (Trinkgelegenheit) auf zwei Plastikstüheln an den Straßenrand und wurden auch nach kürzester Zeit, nachdem wir uns den Herrn der Ringe (Teil drei) auf einer Leinwand angeschaut hatten, von zwei Prostituierten beehrt, die aber nach stundenlangen Gesprächen über alles Mögliche um ca. sechs Uhr morgens ihren Weg gingen.

Alles in allem hatten wir in dieser Nacht nicht geschlafen, dafür getrunken, Pizza (was ein Genuss) gegessen und äußerst interessante Unterhaltungen mit afrikanischen (Entschuldigung) Nutten geführt, ich war endlich in Ghana und alles war perfekt, ein toller und erfolgreicher Tag…

Am nächsten Tag ging es nach Cape Coast, dem „Einsatzort“ von Matthias (Köbi). Es war alles schön und super und vor allem toll, endlich mal wieder selber etwas zu kochen. Um das hier ein bisschen abzukürzen werde ich nicht alles im Detail erzählen.

Wir verbrachten wunderbare Tage in Cape und fuhren dann in Richtung Norden, an die Westseite des Voltasees. Da war ein Festival und wir trafen viele deutsche und vor allem auch viele Freunde, die ich auf dem Seminar kennengerlernt hatte wieder. Nach wirklich, wirklich harten und vor allem alkoholreichen und schlaflosen Nächten fuhren wir dann nach Nsuta. Der „Einsatzort“ (doofes Wort, es klingt so militärisch) von Lea und Frauke. Mit ihnen verbrachten wir auch wunderbare Tage und Nächte und wirklich schön war auch der Ausflug zu den Wli-Wasserfällen. Köbi und ich kletterten ca. 2 Stunden durch den Busch um zu den oberen (nicht Touristen Wasserfälle, sondern noch die schönen) Wasserfällen zu kommen.

Oben angekommen waren wir heilfroh den Aufstieg überstanden zu haben, öffneten ein Bier, zogen uns aus und gaben uns dem zwar kalten aber wunderbaren Wassergefälle hin. Irgendwann drohte es auch dann dunkel zu werden und wir traten den anstrengenden Rückweg an. Nachdem wir endlich zu Hause (bei Frauke und Lea) viel zu spät auftauchten, war nach ein paar Gesprächen dann auch die Luft raus und wir schliefen, wahrscheinlich beide, ein wie kleine Babys. Irgendwann ging es dann zurück nach Accra und auf eine Kneipen- Disco- Club-Tour. Wir schliefen in Kens Haus, dem Mann der mir auch bei dem Visum so große Dienste erwiesen hatte.

Es war eine lange, schöne und überraschend europäische Nacht und Köbi und ich fühlten uns einen Tag später zurück in Cape Coast, in Afrika doch ein bisschen wohler. Naja was gibt es noch zu erzählen? Eigentlich könnte ich noch einen Brief nur über den Ghana Urlaub schreiben, aber ich wollte mich ja kurz halten. Ich aß Hummer, badete im Atlantik und dachte mir so manches Mal, wenn ich so auf das Meer starrte, was mich wirklich sehr anzog: „ Zwischen mir und dem Südpol befindet sich in diesem Augenblick nichts außer Wasser. Kein Berg und kein Tal, reine Entfernung.“ Ein irgendwie schönes Gefühl.

Nach der entspannenden Zeit in Cape und nachdem ich ein neues Betriebssystem auf dem Computer hatte und wir uns tagelang nur im Zimmer aufgehalten hatten, war der Urlaub auch schon vorbei. Wir fuhren nach Accra, spielten abends in unserem Irish Pub noch eine Runde Gitarre und Risiko (Ich habe gewonnen), holten meine Kamera, die jemand versehentlich eingepackt hatte ab und machten uns auf den Weg zum Flughafen. Ich flog also wieder zurück. Komischerweise musste ich, der ja eher nah am Wasser Gebaute, beim Abschied nicht eine Träne vergießen, was ich dann aber im Flugzeug doppelt und dreifach nachholte. Ich schlief in Lagos nach der Landung in einem total dreckigen und völlig überteuerten „Hotel“ und fuhr am nächsten Morgen nachdem ich um fünf Uhr aufgestanden war um halb acht mit dem „ABC-Bus“ von Lagos nach Enugu.

Ich durchquerte einige nigerianische Staaten, machte in Benin City, Onitsha und Awka halt und war froh in Enugu nahe des Stadions auszusteigen, mir meinen Rucksack anzuziehen und mit meiner Gitarre in der Hand auf ein Motorrad aufzusteigen, was mich schnurstracks nach Garici brachte, von wo ich einen Kleinbus nach Awgu nahm. Endlich angekommen hatte ich schon wieder über 48 Stunden nichts gegessen, fiel aber trotzdem todmüde in mein Bett und dachte vor dem Einschlafen nur noch daran, dass am nächsten Morgen um sieben wieder Schule sein würde.

Die Schule funktionierte und ich war überrascht zwischen mir und Sister Chidimma eine zwar distanzierte, aber höchst professionelle Beziehung vorzufinden. Ich bin jetzt zufrieden, wir mögen uns nicht, aber respektieren uns und ich habe bis jetzt auch keine Diskriminierungen mehr erleben müssen. Ich weiß was ich am Anfang dieses Briefes über diese Frau schrieb und ich hatte mir auch überlegt es rauszunehmen, aber ich finde es gut was ich da geschrieben habe und es verdeutlicht eindeutig, wie ich mich fühlte und das ist doch der Sinn meiner Rundbriefe. Zu Father Stan ist das Verhältnis weiterhin sehr zwanghaft, d.h. kein Gespräch, wenn dem nicht aus dem Weg zu gehen ist. Sehr schade ist das, aber ich habe mich damit abgefunden und finde im Moment auch ohne Zweifel genug Rückhalt bei meinen Freunden und vor allem bei Moses, meinem Besten!

Am Ende will ich noch von meinem Geburtstag berichten, der sich dieses Jahr an zwei Tagen abspielte, nämlich nicht nur am 16ten, sondern auch am 17ten Mai. Am 16ten überraschten mich im Bischofshaus der Bischof, Father Lawrence, einige Seminarians und Freunde mit einem Essen und einem wunderbaren Geschenk und am 17ten trank ich von ca. sechs Uhr bis ein Uhr nachts mit meinen „Nichtkirchlichen“ Freunden in einer Kneipe. Sie hatten zwei Hähne für mich geschlachtet und auch für genug Getränke gesorgt. Ein bisschen komisch waren die Fragen die mir gestellt wurde. Ein Brauch hier, an seinem Geburtstag werden einem immer so etwas wie Fangfragen gestellt, die man dann am besten klug und umgehend beantworten sollte.

Das habe ich ganz gut gemeistert und als mein Geburtstag dann auch vorbei war muss ich ehrlich zugeben, dass ich ein bisschen Heimweh hatte, Ich fühle mich im Moment so pudelwohl, dass es schon fast erschreckend ist, aber trotzdem ist da was, an das ich grade im Moment oft denken muss. Vielleicht wegen der tollen Geschenke und Briefe, die von zu Hause kamen, aber auf jeden Fall freue ich mich auf euch meine Freunde.

Dazu fällt mir abschließend nur noch eins ein. Ein kleiner Denkanstoß, den mir meine Tante Ria gegeben hat. Und zwar geht es um das Wort „Entfernung“. Was bedeutet das eigentlich? Es geht doch eigentlich darum, dass etwas oder jemand weit weg ist. Das Wort stammt ja ohne Zweifel von dem Wort „Ferne“ ab. Aber warum heißt es „Ent-“ fernung? Das bedeutet doch eigentlich das Gegenteil, quasi, das etwas oder jemand näher gebracht wird. Es wird ja „entfernt“, nicht „fernt“. Und das ganz ganz tolle und verzaubernde, was mir meine Tante da nahelegte war, das es vielleicht bedeutet, dass man wenn man ganz weit weg ist, eigentlich ganz nahe zu Hause ist. Naja was soll ich sagen? Ich glaube sie hat Recht. Ich bin und war immer sehr nahe zu Hause und das hat mir auch immer und überall weitergeholfen.

Danke Ria, damit hast du mir viel mehr gesagt und gegeben, als du es dir vorstellen kannst!

Zum Abschluss bliebt noch zu sagen, was mein Opa sagte. Ich meinte und meine es Ernst und freue mich darauf.

„Auf ein Wiedersehen in der Heimat!“

Endlich waren wir an den oberen Wasserfällen angelangt!

Euer Steph Nwa di ora mma

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