Stephan Mertes verbringt ein Jahr im sozialen Dienst in Nigeria. Die Rheinzeitung veröffentlichte vor ein paar Wochen einen längeren Bericht über Stephan. Wir haben mit Ihm Kontakt per Mail aufgenommen und Ihn gefragt, ob er bereit ist auf der Pündericher Website über seine Erfahrungen zu berichten. Hier also sein erster Rundbrief.
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Ein kleiner Einblick……Stephan Mertes (Awgu, Enugu State, Nigeria)
Wir schreiben den 1.September 2010, ich befinde mich also in der vierten Woche. Viel ist passiert, seitdem ich hier in Awgu, was auf den ersten Blick nach einem Urwaldnest aussieht, angekommen bin. Ich sollte schnell feststellen, dass hinter der zerfallenden Fassade, des Dorfes eine hochinteressante Dorfstruktur, mit einer Menge unglaublich toller und netter Menschen steckt, die mich wirklich sehr toll empfangen und aufgenommen haben. Das erste afrikanische Wort, dass ich hier vernehmen durfte war “Onyeocha”, was soviel bedeutet wie “weißer Mann”, seitdem ich mich wunderte was mich da jeder am rufen war, sind einige Tage vergangen und ich habe großes Gefallen an Ibo, dieser afrikanischen Sprache gefunden. Ich gebe jeden Tag Unterrichtsstunden in deutsch und Gitarre, die meistens so verlaufen, dass ich am Ende der Stunde, quasi als kleine Bezahlung, wieder ein paar neue Ibo-Wörter lerne. Ich bin mittlerweile fähig einen kleinen Smaltalk zu überstehen ohne dabei jedes zweite Wort nachfragen zu müssen. Das wichtigste was ich in Ibo gelernt habe ist aber zweifelsohne im Moment noch “Suo onyibo biko”, was soviel bedeutet, wie:”Sprich bitte englisch”.
Hatte hier anfangs ein paar kleine Schwierigkeiten, wie z.B. mich an die afrikanische Gelassenheit zu gewöhnen, mit der sie unbefangen und ohne Schutz in einen sehr sehr unsicher aussehenden Sicherungskasten greifen, oder auf die Frage: “was machst du jetzt den Rest des Tages”, um drei Uhr mittags antworten:” Nothing, Siesta oder Relax”. Damit muss man als durchgeplanter, organisierter, pünktlicher, hektischer Europäer, erstmal klarkommen. Sogar ich, der von sich selbst behauptet ein eher abgeschwächtes Exemplar dieser Spezies zu sein, wenn es um Sachen wie z.B. Organisation, Verplantheit oder Hektik geht, hatte damit zu kämpfen. Man kommt sich dann manchmal ein bisschen sinnlos vor, weil man ja in dieser Siesta nichts tut, außer vielleicht lesen, aber auf jeden Fall nichts für die Gemeinschaft in der man lebt. Gerade das sollte aber doch genau meine Aufgabe und Mission hier sein.
Abends geht es für mich meistens auf den „Fußballplatz“, mit Löchern und spitzen/ scharfen Steinen,…..man gewöhnt sich dran. Neben der geistigen Arbeit, ist das ein super Ausgleich und es ist sehr interessant, den afrikanischen Bolzplatzfußball mit dem deutschen zu vergleichen. Es fällt schnell ein geregeltes Chaos auf, das irgendwie dann doch manchmal zu einem Tor führt. Die Einzelspieler, sind durch die Bank wirklich sehr sehr gute und technisch versierte Spieler, aber mit Ordnung oder der Einhaltung einer Position im Spielgeschehen hat das ganze wenig zu tun. Trotzdem macht das ganze einen riesen Spaß, obwohl ich danach meistens ziemlich kaputt bin, was das verdammt heiße Wetter schuld ist, an das ich mich immer noch nicht wirklich zu 100 Prozent gewöhnt habe.
Ihr seht,im Großen und Ganzen geht es mir hier wirklich gut. Das Essen ist echt ok und an das Klamotten-von-Hand-waschen gewöhnt man sich auch. Mein Zimmer ist super, ich habe ein eigenes Bad und da auch meistens Wasser.
Ich habe bis jetzt schon wirklich viele Gespräche mit den verschiedensten Menschen hier gehabt, was ich als einen sehr großen Teil meiner Arbeit ansehe, obwohl ich es nicht als Arbeit empfinde. Mit einem Mann (ca. 28 Jahre) führte ich ein wirklich gutes Gespräch über die soziale und wirtschaftliche Situation Nigerias. Er berichtete von Staudammprojekten, die angefangen aber nie fertiggestellt wurden und darum jetzt vor sich hin rotten. Außerdem erzählte er von seiner Schulzeit, in der er einmal über 2 Wochen nichts zu essen hatte, weil seine Eltern (beide Lehrer) die ihn normalerweise finanziell unterstützten einfach ein paar Monate vom Staat kein Gehalt bekommen hatten. Wir sprachen auch über die vielen Entführungen im Nigerdelta, die in Deutschland dieses Jahr so große Aufmerksamkeit erregt hatten. Ich sagte irgendwann zu ihm, dass ich nicht anders handeln würde, wenn mir ausländische Ölkonzerne meine Lebensgrundlage nehmen würden und das Kidnappen von “reichen Weißen” die einzige Möglichkeit wäre Geld zu verdienen. Es gibt in dem besagten Nigerdelta unzählige kleine Dörfer, die seit Jahrhunderten vom Fischfang leben und denen durch die Ölförderung und die daraus resultierende Verschmutzung des Nigers sogar die Möglichkeit zur Subsitenzwirtschaft genommen wird. Das heißt konkret, diese Menschen haben nicht einmal mehr eine Chance genug Fisch zu fangen, um ihre Familien zu ernähren. Also wie unmissverständlich hier zu lesen ist, sind Armut und krasse Lebensumstände auch ein Teil meiner Erfahrungen die ich hier Tag für Tag sammle.
Zum Schluss möchte ich aber die Gelegenheit nutzen um noch ein bisschen von den tollsten Sachen in Afrika schwärmen, die ich bis jetzt habe erleben dürfen. Das sind: Die lachenden Gesichter überglücklicher kleiner Kinder, die zu mir gelaufen kommen und meine Haut berühren wollen, sich um mich schaaren, lachen und tanzen. Zum zweiten die unglaublich energische und rhythmisch höchst komplexe Musik mit ihren exotischen und wohlklingenden Instrumenten und unfassbar tollen Frauen sowie Männerstimmen. Als drittes, der fantastische Geschmack frischer Früchte. Ich wusste bevor ich kam nicht wie gut eine Melone, Erdnuss oder Banane schmecken kann. Es ist mit einem neuronalen Feuerwerk in der Mundhöhle zu vergleichen, wenn man in ein Stück frisch vom Baum geschlagene Melone beißt,…..jeden Tag neu ein überwältigendes Erlebnis!
Auf ein Wiedersehen in der Heimat.
Steph
Als Spieler aus unserer JSG solltest du einen „Fußballplatz“ mit Löchern und spitzen/ scharfen Steinen doch schon vom Reiler Hartplatz gewöhnt sein 😉
Halte die Ohren steif und hab weiterhin eine gute, erfahrungsreiche Zeit!
Schön geschrieben, weiter so. 🙂