Klatsch und Tratsch

Ein Pündericher in Nigeria Teil IX

Falls Sie die bisherigen Teile nicht mitbekommen haben –  hier eine Übersicht:
Ein Pündericher in Nigeria
Ein Pündericher in Nigeria Teil II
Ein Pündericher in Nigeria Teil III
Ein Pündericher in Nigeria Teil IV
Ein Pündericher in Nigeria Teil V
Ein Pündericher in Nigeria Teil VI
Ein Pündericher in Nigeria Teil VII
Ein Pündericher in Nigeria Teil VIII

Stephan Mertes aus Awgu

Awgu/Enugu State/Nigeria

Mein Stein der Weisen und how to save a life…

Naja und so läuft das Leben weiter, meine Zeit hier unten ist bald zu Ende und ich denke, dass dieser neunte auch gleichzeitig der letzte Rundbrief sein wird. Zum einen, weil ich mich hier nahe dem Ende dieser wunderbaren Zeit befinde und zum anderen, weil mir an mir aufgefallen ist, dass meine anfängliche Schreib- und Mitteilungsfreude sich langsam aufzulösen scheint. Ganz ehrlich gesagt, schreibe ich diesen Brief mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Wie gerne würde ich die guten Dinge und Menschen von hier unten einfach mitnehmen, oder die tollen Sachen von zu Hause nach Afrika verschiffen, aber das geht natürlich nicht und ist auch gut so! Afrika ist nicht Deutschland, nicht besser, nicht schlechter, sondern nur anders!

Ich denke ich fange nochmal mit meinen Büchern und meiner Musik an, falls es dafür überhaupt noch Interessenten geben sollte. Ich habe mich wieder viel von Hermann Hesse verzaubern lassen und erkläre ihn jetzt endgültig zu meinem Afrikaautor, obwohl keines der Bücher, das ich von ihm gelesen habe von Afrika handelt. Hesse hat mir hier unten trotzdem einiges gegeben, klar gemacht, erschlossen und mich einfach tief beeindruckt. Diesmal habe ich von ihm hauptsächlich “Das Glasperlenspiel” gelesen, was einen aber wirklich vom Hocker hauen sollte. Weiterhin habe ich im Moment nur zwei Bücher im Gedächtnis behalten, die wirklich wunderbar waren. “Die Asche meiner Mutter”, über eine irisch- katholische Erziehung in Amerika und Irland, das Buch ist zum Heulen und Totlachen zu gleichen Teilen und “Meistererzählungen” von Jack London. Ich mag vielleicht in Sachen Jack London ein echter Spätzünder sein, aber spielt das eine Rolle? Die Geschichten sind einfach nur mitreißend.

Musiktechnisch war ich in den letzten Monaten eher einseitig unterwegs. Ich habe zum größten Teil “nur” die 5 besten Alben der Welt gehört: „We have the facts and we’re voting yes”, „ Plans”, „Narrow Stairs”, „Transatlanticism”, „The Photo Album”. Natürlich von Death Cab For Cutie! Es ist ein bisschen schwierig diese Alben als die besten zu bezeichnen, da ich das neue Album leider noch nicht kenne! Ansonsten habe ich mich nochmal intensiv mit vor allem den alten Alben von Taking Back Sunday beschäftigt und einen Song von The Fray unendlich viele Male gehört, dabei handelt es sich um “How to save a life”, dem Soundtrack meiner letzten Monate. Alles tolle Sachen, sowohl die Bücher als auch die Musik sind höchst empfehlenswert!

Weiter geht es erstmal mit etwas heiterem. Ich habe doch tatsächlich eine kleine Antilope mit einer Machete erlegt. Ich war an diesem Tag in der Schule mit ca. zehn Schülern am Mähen. Das läuft hier unten so ab, dass jeder eine Machete in die Hand bekommt und sie benutzt wie eine Sense. Ich war sozusagen die Aufsichtsperson und passte auf, dass mit diesen wirklich großen Messern nichts Schlimmes passiert, als auf einmal einer der Jungs aufheulte. Ich erschreckte mich erstmal kräftig, bis ich dann die ganze Horde Jungen eine Antilope, die sich im hohen Gras verkrochen hatte, einkesselten sah. Ich machte natürlich mit. Nur zur Beruhigung an die, die hier vielleicht ein Problem in der Bedrohung gefährdeter Arten sehen, wir sprechen hier nicht von diesen großen Antilopen, die ihr aus dem Fernsehen kennt, das hier sind sozusagen wilde Ziegen, mit Hörnern und die kriegt man hier manchmal auf weite Entfernung in kleinen Rudeln zu sehen. Außerdem muss ich auch sagen, was mir auf meine anfängliche Skepsis, dieses arme Tier zu jagen gesagt wurde: „Wenn man in Afrika ne Schlange sieht, dann tötet man sie, damit sie niemand anderem mehr etwas antun kann und wenn man Bushmeat (Wildfleisch) sieht, dann tötet man das, um es zu essen.”

Naja ich machte also mit, reihte mich an einer Stelle ein und wie es der Zufall wollte, sprang mir das Biest genau vor die Füße. Ich schlug mit dem ca. 80 Zentimeter langen Messer einmal kräftig zu und brach der Antilope so den Hals. Sie war sofort tot, was für mich beruhigend war, da ich keinerlei Interesse hatte, dieses Tier leiden zu sehen. Die Kinder sprangen um mich rum, jubelten, klopften mir auf die Schulter, nannten mich “Dinta” (Jäger) und waren überrascht von meiner Präzession und gekonnten Art, das Tier mit einem Schlag zu überwältigen! Nachher wurde uns die Antilope dann zubereitet und ich muss sagen: Das war eines der besten Sachen, die ich je gegessen habe. Extrem zart, ganz wenig Knochen und wunderbar und natürlich typisch afrikanisch richtig scharf zubereitet! Eine echt mal etwas andere, aber bestimmt sehr afrikanische Erfahrung. Toll! Jetzt fehlen mir noch Krokodil, Schlange und Affe und dann habe ich alles gegessen, was ich mir vorgenommen habe. Bis jetzt sind Antilope, Buschratte (größer als eine ausgewachsene Katze), frittierte Termiten, Schnecken und Hund schon abgehakt und ich muss ehrlich sagen, dass all diese exotischen Speisen durchaus gut und interessant geschmeckt haben. keine konnte aber meiner selbst erlegten Antilope das Wasser reichen!

Die kleine Antilope

Die kleine Antilope!

Jetzt zu einem Erlebnis was mich wirklich sehr verwirrt hat. Ich war an einem Sonntag mit Ndubuisi und Ekemezie in Nnewe auf einem Gedenkgottesdienst für meinen leider kürzlich verstorbenen Freund Chidi, dazu später aber mehr. Nach der Messe trafen wir uns mit einigen Freunden von Chidi in einer Art Kneipe und bei Bier und Essen wurde über das Leben Chidis gesprochen und ein Stuhl blieb frei. Chidi hatte seinen eigenen Stuhl, darauf stand eine Flasche seines Lieblingsbiers und es qualmte eine einzige Zigarette aus einem umgebogenen Kronkorken, der im Flaschenhals steckte. Eigentlich ganz toll wie hier auch Beerdigungen gefeiert werden. Ich hatte in letzter Zeit viele Gespräche über den Tod, sowohl hier als auch mit Leuten zu Hause am Telefon und ich bin doch sehr ans Denken gekommen, als ich die beiden Kulturen in diesem Punkt verglich. Bei uns sind eine Beerdigung und der “Leichenschmaus” (ich hasse das Wort!) ja eine sehr ruhige und auch dem Anlass zur Folge eine sehr traurige Zeremonie. Hier ist das etwas anders. Hier in Nigeria wird nicht der Tod der Person, sondern sein Leben zelebriert!

Natürlich sind die Menschen hier nicht weniger traurig, wenn sie einen geliebten Menschen verlieren, aber hier unten wird nach einer Beerdigungsmesse getanzt, gesungen, gefeiert und es wird ein tolles Leben gefeiert, was leider zu Ende ging. Was wäre das für eine Schande für einen Verstorbenen, wenn alle nur weinen und sich gegenseitig durch ihre Trauer nur noch mehr in solche Gefühle steigern würden. Wenn hier jemand anfängt zu weinen, wird er in den Arm genommen und dann schnurstracks auf die Tanzfläche geführt und es wird ihm ein Bier aufgedrückt. Spätestens nach fünf Minuten geht es der Person wenigstens kurzfristig besser. Jetzt aber wieder zurück zu der verwirrenden Sache. Ein Arzt war in der Runde, in dieser Kneipe, als wir Chidis gedachten. Seinen Namen kenne ich nicht, er wurde immer nur “Doc” genannt. Als wir alle schon min. 2-3 Liter Bier getrunken hatten, kam ihm die Idee, ich sollte ihn jetzt mal zu einer Visite in seinem Krankenhaus begleiten. Ich war etwas angeschwippst und verstand nicht was er sagte, aber als er neben seinem Auto stand und sagte:” Kommst du endlich Steph?” Stieg ich nach einem prüfenden Blick zu Ndubuisi, ob das in Ordnung ginge, ein und wir fuhren zu seinem Krankenhaus.

Ich betrat die “Klinik” und wurde den Schwestern, als junger deutscher praktizierender Mediziner vorgestellt, der sich hier mal umschauen wolle um zu prüfen ob auch alles mit rechten Dingen zuginge. Nicht zu erklären brauche ich glaube ich, dass das sehr verwirrend war, da ich nicht wirklich fit war und auch nicht vorbereitet, so zu tun, als wäre ich seriös. Außerdem empfand ich es einfach als falsch, ich war richtig beschämt und war froh, als die Schwestern ihre Arbeit fortsetzten. Dann kam die Krönung, dieser echt unangenehmen Situation. Er führt mich in ein Zimmer und stellte mich wieder als Arzt vor. Da lagen drei alte Frauen und eine jüngere, die ihr erstes Kind vor einem Monat entbunden hatte, aber immer noch Nachblutungen hatte. Doc untersuchte die Frau vor aller Augen, drehte sich dann zu mir um, sagte einige lateinische Begriffe und blinzelte mir zu. Ich sagte: „Sehr interessant” und fühlte mich dabei so dreckig wie selten, ich schämte mich in Grund und Boden, dass ich das blöde Spiel mitmachte. Ich war kurz davor einfach zu gehen, oder alles aufzuklären, aber ich wusste, dass das eine Beleidigung gegen Doc bedeuten würde, der mir ja einen großen Gefallen tun wollte. Ich hätte damit seinen Namen und meinen Namen in den Dreck gezogen und was hätten die Frauen denn gedacht? Ich hielt es durch, verschränkte die Arme, hörte einfach nur zu, gab ab und an zu verstehen, dass der behandelnde Arzt eine gute Arbeit macht, um die Patienten zu beruhigen und als ich ging, strich der jüngeren Frau über die Stirn und sagte, dass das schon werden würde und das sie in guten Händen ist. Ich atmete auf, als die Stirn nicht heiß war und sie also wenigstens kein Fieber hatte.

Wir gingen in Docs Büro und zwei Minuten späten waren wir nicht mehr alleine, sondern ein Chief des Dorfes kam mit seinem ca. 25 Jahre alten erstgeborenen Sohn in den Raum und was dann folgte, fand ich ebenfalls höchst verstörend. Der stattliche, wenn auch desinteressierte junge Mann wurde in meiner Gegenwart vom Arzt belehrt, wie schlecht es sei Gras zu rauchen und dass das alles kaputtmachen würde. Der Vater brachte also seinen Sohn zu Doc, dem witzigen Typen, der an diesem Tag schon etliche Biere getrunken hatte und auch keine Anstalten machte, als ein anderer am Tisch vorher eine etwa handtaschengroße Tüte voll mit Gras auspackte und munter drauflos drehte, zu einer Drogenberatung. Darüber könnte man jetzt lachen oder weinen, das überlasse ich euch. Ich fand es eher unwitzig und muss zugeben, dass ich sehr froh war, als Ndubuisi mich mit dem Motorrad abholen kam und ich aus dieser Lüge und total verkorksten Situation befreit wurde. Natürlich wurde ich auch dem Chief als praktizierender Arzt vorgestellt. Ich schäme mich immer noch, es war einfach total falsch von mir, diese Patienten so zu betrügen und von Doc so einfach so private Sachen an jemanden wie mich weiterzugeben.

Vielleicht schreibe ich jetzt noch über Chidi. Ich weiß es hat lange gedauert, bis dieser Brief endlich fertig war, was nicht zuletzt daran gelegen hat, was mit meinem Kumpel passiert ist. Ich möchte das nicht alles nochmal erzählen müssen und ich denke, dass der Großteil von euch auch Bescheid weiß, ich fasse das also kurz. Ich hatte eines Abends erfahren, dass mein Freund Chidi Nwali (Chidi-Gott ist gut und Nwali-Sohn der Erde) einen Motoradunfall hatte und im Krankenhaus liege. Es fehlte an Geld und Chidi war kurz davor auf die Straße gesetzt zu werden. Ich eilte nach Hause, schrieb einen Brief und schickte ihn an alle in meiner Kontaktliste, mit der Bitte um eine Spende und war überglücklich, als wir in kürzester Zeit die 2500 Euro zusammen hatten. Sonntags dann, dem Tag, bevor ich
in Enugu an das Geld gekommen wäre, verstarb Chidi. Man hatte ihn dreimal umverlegt. Das erste Mal aus dem “schlechten” Krankenhaus in ein besseres in Enugu, dann aus Geldmangel wieder zurück in das schlechte und als die Ärzte überzeugt waren, dass Geld kommen würde, wieder zurück in das Gute. Den letzten Transport hat er leider nicht überlebt.

Ich schrieb einen zweiten Brief, bedankte mich und fragte, wer sein Geld wiederhaben möchte. Dann wurde ich einfach überwältigt. Niemand hat sein Geld bis heute zurückverlangt und es wurde sogar weitergespendet. Wir haben insgesamt fast 5500 Euro zusammenbekommen und damit hätte ich wirklich nie gerechnet. Ich habe einen Teil des Geldes für Schulden im Krankenhaus verwendet, da sonst der Körper Chidis nicht freigegeben worden wäre (kranke Welt). Einen weiteren Teil des Geldes benutzten wir um den Sarg zu bezahlen, der auch hier unten unverschämt teuer war. Wir haben aber tausende von Euros übrig und ich werde sie dazu benutzen, dass Menschen, die in Krankenhäuser in dieser Gegend eingeliefert werden und aber ihre Rechnung nicht bezahlen können trotzdem geholfen werden kann. In erster Linie geht es hierbei um Frauen, die kürzlich eine Geburt hinter sich haben und die ersten Wochen mit ihrem neuen Kind im Krankenhaus, bzw. mit der Arbeit für das Krankhaus zubringen müssen oder beispielsweise einen Kaiserschnitt benötigen. Ich habe jetzt schon zweimal jeweils eine Handvoll solcher Frauen kennengelernt und mich mit ihnen unterhalten und ich kann euch sagen, dass das wirklich eine sehr beschissene Situation ist!

Technisch gesehen war das schwierigste an dieser Spendenaktion, das niemand erfahren durfte, dass das Geld aus Deutschland (von mir) kam. Das hätte nicht nur meine Beziehungen zerstört und mich als Goldesel hingestellt, sondern auch die Sicht der Menschen hier im Bezug auf die Menschen in Deutschland. Die fetten Weißen, die im Überfluss leben und die mir sogar Geld schicken, obwohl sie noch nicht mal meinen Namen kennen. Und irgendwie stimmt das ja auch. Haben wir nicht so unglaublich viel? Ich meine denkt mal nach. Ich werde hier oft gefragt, ob ich meinen Laptop verschenken will. Ich lache dann und sage, dass ich nur den einen habe und dass ich ihn bräuchte. Das stimmt ja auch soweit. Aber stellt euch mal vor, dass es zwar merkbar im Geldbeutel wäre, aber fast keine Durchschnittsfamilie in Deutschland zum Hunger oder Bettelstab führen würde, wenn jede Familie einen Laptop hier runter schicken würde? Nur keine Angst, das erwartet niemand, aber prinzipiell ist es Fakt!

Ich meine dass wir ja alles haben, jeder hat ein Auto, einen Computer und die meisten sogar das neueste Touchscreen Handy mit was weiß ich für Funktionen. Nicht zu sprechen von fließendem Wasser, einer warmen Dusche, einer Badewanne und Strom. Fast keine Durchschnittsfamilie in Deutschland müsste sogar auf diese eher nicht existenziell wichtigen Dinge verzichten und könnte doch, wenn sie unbedingt wollte einen Laptop schicken. Ich will kein schlechtes Gewissen machen oder zu mehr Einsatz oder Spenden drängen. So etwas muss jeder selbst wissen, aber ein bisschen rütteln kann man ja mal. Und denkt bitte nicht ich wäre so selbstlos, wie sich das hier anhört. Ich will in Deutschland nicht auf Mobilität, Handy, Strom, warmes Wasser, etc. verzichten und auch will ich kein Konzert oder Festival versäumen und gebe auch mal gerne Geld aus, was vielleicht nicht notwendig gewesen wäre. Ich rüttle mich also selber und vielleicht auch einige von euch mit.

Der nächste Abschnitt dreht sich um einen Stein. Ich weiß das mag vielleicht ein bisschen merkwürdig klingen, aber es ist mein voller Ernst! Als ich ca. einen Monat hier war, wurde mir klar, dass ich auch abends mal lesen möchte und so kaufte ich mir ein paar Kerzen. Ich hatte leider nichts womit ich die Kerzen hätte aufstellen können, also suchte ich mir einen Stein, ließ etwas Wachs darauf tropfen und befestigte so meine ersten drei Kerzen in Afrika auf meinem Stein. Seit diesem Tag sind Monate vergangen und etliche Kerzen abgebrannt. Der Stein an sich ist fast nicht mehr zu sehen, aber es gibt wenige Dinge, die mir so ans Herz gewachsen sind wie dieser Stein. Wie viele Stunden habe ich einfach nachgedacht und dem Wachs zugesehen, wie er wieder und wieder neue Bäche über die Oberfläche meines Steines vergoss und so immer wieder die Struktur veränderte. Irgendwie gefällt mir der Gedanke, dass nicht nur der Wachs verlaufen ist und so viele Kerzen darauf verbrannt sind, sondern, dass auch meine vielen guten wie schlechten Gedanken über diesen Stein geflossen sind. Ohne Zweifel hat dieser Stein einiges mit mir mitgemacht und war mir immer eine Leuchte! Wenn ich jetzt Kerzen auf meinem Stein anzünde komme ich immer wieder ans Denken. Ich habe beschlossen diesen Stein einem ganz bestimmten alten Freund in Deutschland nach meiner Rückkehr zu schenken, von dem ich sicher bin, dass er den Wert dessen, obwohl er keineswegs materiell ist, zu schätzen weiß. Es ist ja irgendwie eine Einladung und Aufforderung an ihn mit mir Gedanken zu teilen. Ich glaube, dass er vielleicht eines Tages die Kraft dieses Steins auch spüren kann und an mich denkt oder auch nur denkt. Eines ist gewiss, der Stein wird für mich immer ein Teil meiner Zeit hier unten sein, mein Philosophenstein!

Jetzt geht es um Stan, meinen engsten Vertrauten hier in Awgu. Ich habe ja immer viel an Rat von ihm bekommen. Ich wäre gerade am Anfang ein wenig aufgeschmissen gewesen, hätte mir Stan nicht immer wieder und unermüdlich diese Kultur erklärt und erschlossen. Nicht nur in Igbo, hatte ich nach jedem Treffen mit ihm dazu gelernt, sondern auch einfach im Verstehen verschiedenster Situationen, die mir zuerst etwas merkwürdig schienen. Kurz und gut, er war irgendwie immer wie mein kleiner-großer Bruder. Großer Bruder weil er mir ja echt viel gezeigt hat und kleiner Bruder, weil er wie mein kleiner Bruder Jonas denkt alles zu wissen. Ich denke sowohl Stan, als auch Jonas wissen so einiges, sogar vieles, aber nicht so viel wie sie denken. Die beste Strategie ist da immer sie in ihrem Glauben zu lassen, vor allem, wenn man was lernen kann. Naja, so oder so, Stan ist vor kurzem abgereist und lebt seit ein paar Wochen in Rom. Ich werde ihn hier unten nicht wiedersehen, was sehr schade und auf jeden Fall ein Verlust für mich und für das ganze Bistum ist.

Ein bisschen stressig ist es jetzt, dass meine Anliegen schwer zu bearbeiten sind, falls mal welche anfallen, da er die einzige offiziell zuständige Person hier war. Ich habe also kurz gesagt meinen Mentor verloren. An seine Stelle ist Father Lawrence gerückt, der einen tollen Job macht, dem es aber ein bisschen an Erfahrung fehlt. Naja das wird schon, denn Law ist nach meiner Auffassung nicht nur der am härtesten arbeitende Priester, sondern auch der mit dem größten Potential mal ein ganz großer zu werden. Für mich ist er einfach der beste, wenn es um Seelsorge und Ansprache von Problemen geht. Im Großen und Ganzen funktioniert es, aber es ist schon gut, dass Stan erst jetzt weggegangen ist, wenn er ein paar Monate früher gegangen wäre, hätte mir das einige ziemlich üble Probleme bereitet!

Und weiter geht es mit Problemen. Meine Chefin, die wie ich schon früher erwähnte total bekloppt ist, hat sich (oh Wunder) nicht verändert! Mittlerweile habe ich zu berichten, dass ich ihr und sie mir so gut es nur irgend geht aus dem Weg geht und das ist auch gut so, denn wenn ich noch länger mit ihr gestritten hätte, hatte ich für nichts mehr garantieren können. Mir ist bei einem Meeting vor ca. zwei Wochen einmal, als ich nur so da saß und nicht wirklich zuhörte, an mir selbst aufgefallen, wie ich mir vorstellte, die Nonne jetzt und hier einfach zu verprügeln. Ich spürte es richtig in mir kochen. Ich stellte mir vor, wie ich seelenruhig aufstehe, meinen Stuhl nehme und damit auf sie einschlagen würde. Naja was ich damit sagen will ist nicht, dass ich ein gestörter Gewalttäter bin, sondern, dass ich selten so einen lebhaften Tagtraum hatte. Letztens hat die Nonne übrigens sogar einen Lehrer mit ihrem Stock geschlagen, wie verrückt kann man sein.

Ich habe mir einen Spaß daraus gemacht einfach immer wenn sie wieder so ausrastet: “Therapie, Therapie” zu rufen, weil das wahrscheinlich das Einzige wäre, was dieser Frau helfen könnte. Eine ordentliche anti-aggressions-Therapie! Naja es ist in geschlossener Runde der Lehrer, wenn die Hexe nicht dabei ist schon immer witzig. Ich muss aber auch sagen, dass ich mich mittlerweile endlich mit ihr ausgesprochen habe. Vor allem an meinem letzten Schultag hatten wir Gelegenheit mal offen miteinander zu sprechen. Das tolle war, dass sie im Prinzip nur sagte, dass sie genau wüsste, was mich an ihr störe und was sie sagte passte genau zu meiner Auffassung. Sie sagte dann auch, was sie an mir störe und ich musste schon zugeben, dass das angebracht war, was sie da zu sagen hatte. Wir hatten und haben zwar schon ernstzunehmende Differenzen, aber ich war irgendwie erleichtert, als ich endlich bemerkte, dass ein Teil dieser Spannungen auch auf Missverständnissen beruhten. Naja, sie und ich werden wahrscheinlich niemals Freund werden, aber gegenseitiger Respekt ist jetzt schon vorhanden.

Jetzt aber zu den wichtigen Dingen. Die Schule läuft super. Ich habe mich in diesem Term kaput korrigiert. Ich habe in jeder meiner 16 Klassen drei Tests und ein Examen schreiben lassen und dass bei Klassenstärken von 40-45 Schülern. Es waren dann also mehr als 2500 Arbeiten zu korrigieren, aber es hat hingehauen und ich bin stolz auf mich, denn auch das Ergebnis kann sich sehen lassen. Im ersten Term hatte ich echt sehr gute Resultate zu verzeichnen, was dann im zweiten Term etwas nachließ. Wahrscheinlich, weil ich nicht mehr der neue aufregende weiße Lehrer, sondern nur noch Lehrer war. Naja, ich hab es irgendwie hinbekommen, das Interesse meiner Schüler nochmal ein wenig zu wecken. Ich bin außerdem irgendwie in einen Zweitjob reingerutscht. Immer mal wieder hat man einen Schüler, der hinfällt, sich wehtut oder einfach Kopfschmerzen hat, ganz normal!

Dann geht man zum Schul-“Doktor”. Leider ist der gute Mann, der ca. Mitte 50 und echt ein netter Typ ist, nicht immer da. So kam es dann, dass ich meine Schüler selber verarztete. Das ging dann eine Zeit so und irgendwann brachte ich dann auch Teile meiner kleinen Heimapotheke mit in die Schule. Pflaster, Verbände, Kopfschmerztabletten, Kohletabletten, etc. Mittlerweile fragen mich Lehrer und sogar manchmal der Doktor, was sie denn mit einem bestimmten Schüler machen soll. Ich gebe mein bestes und muss leider feststellen, dass das, trotz der Tatsache, dass ich keine med. Ausbildung habe, mindestens so viel ist, wie der Doktor in meiner Schule. Nachdem sich bei den Schülern herumgesprochen hatte, dass man bei mir ganz gut aufgehoben wäre, kamen vereinzelt Schüler auch nach der Schule mit ihren Wehwehchen zu mir und ich habe sie natürlich verarztet. So geht das immer weiter. Mittlerweile bearbeite ich umgeknickte Knöchel, Wunden und so weiter. Irgendwie schön als ein kleiner Geheimtippspezialist zu gelten. Mir macht es Spaß und es ist schön zu sehen, wie gut doch die gute alte Betaisodona funktioniert! Manchmal kommen dann natürlich auch Leute, die seit Tage Bauchschmerzen haben, oder Fieber etc. Da muss ich dann einfach passen. Was wenn ich jemandem eine Aspirin gebe, der Malaria hat oder irgendwas andres, bei einer Blinddarmentzündung? Das Risiko ist mir dann doch zu groß. Ich bliebe bei meinen Physiotherapeutischen und bei meinen Wundbehandlungen, womit ich neben meiner Arbeit in der Schule wirklich auch ausgelastet bin!

Kleine Randnotiz: Ich habe bei dem WM-Finale der Frauen, Japan gegen die USA, einen Kasten Bier gewonnen. Meine dritte Malaria verlief so ähnlich wie die ersten zwei, also finde ich keinen plausiblen Grund das hier nochmal auszuschmücken. Vielleicht kann ich nur sagen, dass man sich echt dran gewöhnt und das damit zu leben ist. Diesmal hatte ich es und ich wusste dass ich es hatte, ging aber trotzdem in die Schule. Beendete die Woche und holte mir dann meine Medikamente. Der Test war auch überflüssig, irgendwann weiß man einfach dass man Malaria hat oder eben nicht.

Jetzt berichte ich von zwei Ereignissen, die einfach nur zum Heulen waren. Es handelt sich hierbei um die Abschlussfeier, der sechsten Klassen, die jetzt auf die weiterführenden Schulen wechseln oder ihren Eltern helfen und meine eigene Schulinterne Abschlussfeier. Das einzige was man eigentlich vom ersteren erzählen muss ist, dass zwischen den vielen Fotos mit meinen ganzen Schülern sich die ersten schon verabschiedeten und dass mir ein komisches einklemmendes Gefühl immer mehr die Luft zum Atmen nahm. Es wurde mir auf einmal klar, dass dieses kleine „Tschüss“ bei vielen wahrscheinlich ein Abschied für immer sein würde. Ich musste mich echt sehr zusammenreißen, an diesem Freudentag für meine Schützlinge nicht einfach wegzulaufen und zu weinen. Ich kämpfte für Stunden mit mir, bis ich mich in eine Kindergartenklasse setzte, wo noch zwei Schüler saßen. Solomon (2 Jahre) und Chiamaka (3 Jahre). Ich nahm mir die zwei auf den Schoß und als sie ein bisschen rumgealbert hatten fing ich einfach an, mir kullerten die dicksten Tränen übers Gesicht und ich war unglaublich froh, dass ich die zwei bei mir hatte. Die beiden hatten mich natürlich noch nie weinen gesehen, machten aber alles richtig.

Chiamaka drückte mit ihren kleinen Händen ganz fest meine Großen und Solomon der noch auf meinem Schoß saß umarmte mich auch ganz fest. Es war einfach so schön, mit den zwei letzten kleinen Schülern in der Schule in dem kleinen Raum zu sitzen und zu weinen. Vielleicht oder sogar wahrscheinlich verstanden die zwei nicht worum es ging, aber ich glaube sie spürten schon irgendwie was los war. Mann, sind das tolle Menschen und Kinder hier in Awgu. Eigentlich will ich echt langsam mal nach Hause und meine Familie umarmen, aber jeder Tag mit meinen Kindern lässt mich mehr zweifeln. Meine Abschlussfeier war auch sehr traurig, aber wunderschön! Die Lehrer hatten heimlich Geld gesammelt und davon Reis und zwei Hühner gekauft und gekocht. Ich hatte aber schon sowas geahnt und brachte eine Kiste Bier und eine Kiste Malzbier mit. Wir aßen, tranken und die Lehrer begannen mir auf den Weg mitzugeben, was sie mir mitgeben wollten. Es wurden tolle Worte gesprochen in diesem Raum und nicht wenige konnten nicht an einem Stück reden, weil einfach die Tränen dazwischen kamen, mich eingeschlossen. Dann setzten sie mich in die Mitte des Raumes und standen alle auf. Alle schlossen die Augen und fingen aus vollem Halse an zu singen.

Es war unglaublich, was da rüberkam. Wie schön und verletzlich eine Stimme sein kann und wie tolle doch auch eine Stimme von Teacher Agu (Agu= Löwe), der über 70 Jahre alt und einer meiner engsten Vertrauten in der Schule ist, sein kann. Es war so krass berührend, wie der ganze Raum hinter geschlossenen Augen und geöffnetem Herzen anfing in allen Tonfarben zu glimmen und zu leuchten. Ich hatte eine Gänsehaut wie noch nie und mir rollten wieder die Tränen über die Wangen. Das war eines der schönsten Erlebnisse in meinem Leben, in einer Runde zu sitzen, während die dicke fettleuchtende Sonne Afrikas langsam hinter dem Berg verschwand und 25 singende Menschen tragen einen einfach weg aus allem was es auch gibt.

Ich weiß nicht genau was ich hier noch schreiben soll, außer vielleicht, wie großartig die Landschaft hier ist. Ich glaube das habe ich echt viel zu wenig gewürdigt in meinen vorherigen Rundbriefen. Jedes Mal, wenn ich einfach mal die Augen aufmache und mich umsehe, tief atme und mich umschaue, bin ich wieder und wieder überwältigt, von dieser Größe, Weite, von den Farben und Formen. Wenn ich z.B. in ein Bergdorf hier fahre und bei einem Becher Palmwein einfach ins Tal sehe, weiß ich nicht, was man sich mehr wünschen kann und sollte, als zu sehen, was ich dann sehe.

Was bleibt zu sagen, am Ende eines meiner Rundbriefe? Bald ist es soweit!

Auf ein Wiedersehen in der Heimat!

Euer Steph

Chief Nwa di ora mma 1 of Awgu

Das ist Solomon!

Das ist Solomon!

Ein kleiner Nachtrag:

Ich bin wieder da.

Enden sind schwer. Jeder Affe mit einer Tastatur und lustigen Fingern kann einen Anfang produzieren, aber Enden sind unmöglich! Man versucht alle losen Enden zu verknüpfen, aber das schafft man nie. Es wird immer Löcher geben, aber, weil es das Ende ist, sollte es doch auf etwas hinauslaufen Ich sage euch, Enden sind eine absolute Qual. Also dann, worauf läuft das alles hinaus? Das ist schwer zu sagen, aber ich würde sagen, es war vielleicht eine Art Test, und ich denke ich hab ihn recht gut bestanden… und geht es letztendlich nicht darum? Keine Frage, Enden sind schwer, aber im Prinzip ist es doch so: nichts Endet wirklich ganz und zwar nie, oder liege ich da falsch?

Ich bin wieder zu Hause in Deutschland und hatte erst mal einige neue Tests zu bestehen. Deutsch sprechen, war z.B. ein echtes Problem. Ich meine damit aber nicht nur, deutsche Wörter zu gebrauchen oder deutsche Sätze zu bilden, sondern zu sprechen, zu denken und nachzuvollziehen, wie ein Deutscher. Ich muss ehrlich sagen, dass der Umstieg von Deutschland zu Nigeria einfacher war, als die Rückkehr. Ich fühlte mich ein wenig betrogen! Mir ist aufgefallen, ich möchte dass hier ein wenig extrem ausdrücken, dass man sich hier nicht wirklich mit Menschen unterhält, es kommt gar keine richtige Konversation zu Stande. Wenn man hier redet, scheint es mir sehr oft so, als würde mein Gegenüber einfach nur darauf warten endlich selbst sprechen zu können. Hier herrscht quasi permanent ein Selbstdaarstellungsdruck . Zum anderen sind die Menschen hier so extrem wenig an einander interessiert. z.B. wenn ich einen Zug betrete, sitzt jeder für sich alleine und niemanden interessiert der andere und niemand unterhält sich. Was ist hier los?

Natürlich könnte man sagen, dass man ja auch mal seine Ruhe haben möchte, aber warum? Ist es wirklich so toll eine Stunde oder länger, alleine aus dem Fenster zu schauen, als sich mit jemanden den man noch nicht kennt zu unterhalten? Jemand, der vielleicht ganz andere Sachen weiß als man selbst, der vielleicht einen Job macht, der einen total interessiert. Oder ich komme in ein Wartezimmer in einer Arztpraxis und da sitzen 3 Frauen und ein Mann, alle verschiedenen Alters und jeder schaut nur an die ihm gegenüberliegende Wand und wieder unterhält sich niemand. Die Zeitungen auf dem Tisch sind vom letzten Monat und irgendwann fühlt man sich doch auch lächerlich dabei so tun, als wäre man mit seinem Handy beschäftigt! Scheint ja echt Spaß zu machen dieses: Seine Ruhe haben.

Naja, aber es gibt natürlich auch andere Sachen. Nummer eins der top Nachrichten ist: Sister Chidimma wurde versetzt und hat die Schule verlassen, na wenn das kein Grund zum Feiern ist. Ich habe in ca. 2 Wochen ca. 8 Kilo zugenommen, ich weiß das klingt gelogen, ist aber die Wahrheit. Ich habe schon einige Shows mit meiner Band gespielt und Proben gehabt und das ist wirklich jedes Mal wie Urlaub. Meine Geschwister sind natürlich auch so so toll und ich freue mich jedes Mal, sie in den Arm zu nehmen. Ich glaube das ist wirklich das schönste an Deutschland.

Eine warme Dusche sofort als ich nach Hause kam war glaube ich eine der tollsten Sachen die ich je gemacht habe. Ihr müsst euch das mal vorstellen, ich drehe einfach an so einem Knopf und von über mir kommt nicht nur Wasser, sondern wirklich warmes sauberes Wasser auf mich gefallen. Das ist wirklich eine feine Erfindung, dieses fließende Wasser!

Ich möchte gar nicht mehr so viel nachtragen, da ich ehrlich gesagt auch jetzt schon das Gefühl habe, dass dieser Letzte Rundbrief aus dem Rahmen fällt und irgendwie auch wirklich nicht reinpasst. Außerdem lässt er sich für mich wirklich sehr schwer und nur zäh schreiben.

Als letztes möchte ich aber dann doch noch erzählen, was ich am meisten vermisse. Ich könnte jeden Tag heulen, wenn ich Fotos von meinen Kindern sehe und ich wünsche mir dann, ich könnte da sein und mich einfach dazustellen, wenn sie tun was sie eben tun. Ich vermisse besonders Moses und Ik, meine zwei besten Kumpels. Ich vermisse Father Lawrence sehr, mit ihm habe ich mich immer so gut unterhalten und vor allem vermisse ich auch meinen Nachbarn und Seminarian Chinonso Darlington. Das ist echt ein klasse Kerl. Wir haben wirklich alles geteilt! Naja, bevor ich mich jetzt hier reinsteigere und später noch zu sentimental werde, denke ich dass ich jetzt dieses und damit alle Rundbriefe beenden sollte. Ich wünsche euch allen weiterhin eine gute Zeit, vor allem meinen Brüdern in Awgu.

Auf ein Wiedersehen….

Euer „Nwa di ora nma“ Steph

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