Klatsch und Tratsch

Pündericher Briefe Teil 3 und Teil 4

Im dritten und vierten „PÜNDERICHER BRIEF“ (Ostern und Juni 1946) berichtet Jakob Mentges, Großvater von Paul Ludwig Mertes, seinem in englischer Gefangenschaft befindlichen Sohn über örtliche Ereignisse und Lebensumstände.

Die Rechtschreibung des Briefes ist weitestgehend original belassen.

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Pünderich, Ostern 1946

Mein lieber Ludwig!

Hallo Ludwig

Fast zwei Jahre sind vergangen, dass wir uns das letzte Mal gesehen, eine
lange Zeit. An der Ewigkeit gemessen eine Null. Uns geht es noch gut, was
ich auch von Dir hoffe. Dank der guten Witterung kommen wir mit der Arbeit
voran. Herrmann [1] und Paul [2] sind auch gekommenen. Am Dienstag nach Weißen Sonntag tun dieselben heiraten. Am letzten Mittwoch war ich in Altlay. Dein Freund Grünewald hat auch aus Moskau geschrieben. Am Sonntag war ich in Reil und habe Euern Reisenden, Herrn Klein, getroffen. Er lässt freundlichst grüßen.

Neues Leben blüht aus den Ruinen. Überall wird gearbeitet, um die Spuren
der Zerstörung zu beseitigen. Es gibt schon wieder etwas Kunstdünger,
die Bahnen laufen teilweise wieder. Wenn ich Dir auch nicht geschrieben habe, so habe ich doch Deine Schreiben mit Ungeduld erwartet, Es freut mich, dass Du Französisch und Englisch lernen kannst, zumal das für Deinen Beruf von großer Wichtigkeit ist. Man kann nie zu viel lernen. Man lernt ja auch in der Fremde Land u. Leute kennen. Gestern ist Endries Anna, dem Kurt seine Mutter, gestorben. Den alten Lütz haben wir vor 14 Tagen begraben. Jetzt noch eine Frage. Was arbeitest Du eigentlich? Das Weingeschäft liegt ganz darnieder, im Weinberg ist viel kaputt, da man mangels Ponte nicht
spritzen konnte Die Weinernte war an der ganzen Mosel, ob od. nicht gespritzt, schlecht; es liegt ein Fluch auf der heutigen Zeit. Neuigkeiten kann ich Dir nicht berichten, es geht so gut und schlecht, als
es kann. Morgen fahre ich in die Eifel auf den Schweinehandel, er ist heute auch schwierig. Musst entschuldigen, dass ich mit der Maschine schreibe, gut Latein kann ich nicht. Was die heutige Zeit anbetrifft, so gibt es einen schönen Spruch „Alles Zürnen, alles Klagen hat ein Ende, wenn wir wagen, mit dem Herrn das Kreuz zu tragen.“ Nun viele Grüße von allen Bekannten und Verwandten. Will schließen u. Dich mit dem schönen Soldatenlied grüßen. Drum Brüder stoßt die Gläser an, es lebe der Reservemann. Wer treu gedient hat seine Zeit, dem sei ein volles Glas geweiht. Noch eins, Du kannst froh sein, dass Du heil in die die Gefangenschaft kamst, denke an die armen Kriegsversehrten.

Dein Vater

[1] Klaes
[2] Mertes

Pünderich, den 23. Juni 46

Mein lieber Ludwig!

Deinen lieben Brief vom 19. Mai beim besten Wohlergehen erhalten.
Es freut mich, dass Du meinen Brief erhalten hast. In zwischen haben wir, wie
Goethe sagt, das liebliche Pfingstfest gefeiert. In Kochem war Kirmes,
1 kleiner Zirkus war da. Die Woche wurde Fronleichnam in alter Weise
gefeiert, nur fehlte das Glockengeläute. Die Nazis hatten die Glocken
in drei Altersklassen eingeteilt. Da unsere sehr alt waren, kamen sie nach Ham-
burg. Man hofft, wenn die Transportschwierigkeiten behoben, dass sie wieder das
Weihnachtsfest einläuten. Als neugebackener Ehemann hat Paul [1] den Himmel
getragen. Luzi [2] hatte ein Kissen mit Lämm[chen], es ging stolz mit. Bald
hätte ich vergessen, von der Hochzeit zu erzählen. Es war, wie Pfarrer Gräf
sagt, sehr schön. Tags darauf hatten Tilla [3] , Lina [4], Käthe [5], Cousine Hedwig [6] u.
sonstige Dämlichkeiten Kaffeekränzchen, wo es lustig, wie es
bei jungen ist, zuging. Maria wird Dir ein Photo schicken, was Franz [7]
aufgenommen hat. An Pfingstdienstag waren Paul u. ich ein Ferkel nach
Kappel per Rad holen. Es wird mit neuer Währung in Wein u. Branntwein od.
sonstigen Naturalien od. Arbeitsleistung bezahlt. Für Geld bekommt
man fast nichts, höchstens kann man Licht, Wasser, Steuern u. Eisenbahn,
die 100% teuer ist, bezahlen. Am Freitag habe ich bei Goldschmidt in Briedel
2 Ltr. Petroleum geholt, da traf ich Grünewald seine Mutter. Sie lässt vielmals
grüßen. Edi hat eine Suchkarte aus Moskau gesandt. Gestern war ich nach
Burg bei Schmidt 1 Korb Kirschen holen. Sie lassen vielmals grüßen. Sie hoffen
immer noch auf Ewald; eine richtige amtliche Urkunde haben sie nicht.

Die franz. Einquartierung ist schon 3 Wochen fort, in Zell u. Enkirch
ist noch eine Abteilung. Durch das schlechte Wetter kommen wir schlecht
mit der Heuernte voran, auch mit der Traubenblüte geht es nicht voran,
es ist dieses Jahr ein komisches Wetter: kalt viel Regen, es müsste doch
jetzt sehr heiß sein im Hochsommer. Trotzdem steht der Flur prima u. ver-
spricht eine gute Ernte, wenn das Unwetter nicht alles verdirbt. Viel zu
leiden haben wir durch das Überhandnehmen durch die Wildschweine. Jede Nacht
geht eine Abteilung in den Wald auf Burger Berg u. Rott mit Knüppel und Axt
bewaffnet zur Wache, ich als Alter gehe an den Waldrand. Bei besserem
Wetter gehen wir nach Großreiert mähen. Hoffentlich kann ich schwarz
schlachten. Den großen Mist hat der Reichsjägermeister a.D. Göring
gemacht, da er nicht abschießen ließ. Am Dienstag war ich zum Einkauf
von Red[uzier]spritzen-Ersatzteilen nach Niederemmel. Matz war besoffen, Kurt
ist zu Hause, lassen bestens grüßen. Fast auf jedem Dorfe an der Mosel
sind die Kirchtürme durch Aribeschuss beschädigt. Dass sämtliche Brücken
der Mosel im Wasser liegen, ist Dir vielleicht schon erzählt worden,
mit Ausnahme der Brücke in Koblenz u. Balduin in Trier. An der Ellerer
Brücke wird mächtig gearbeitet, bis Okt. hofft man sie eingleisig
in Betrieb zu stellen. Es war eine doppelte Gitterbrücke u. so hat man
das eine Gitter vor das andere gesetzt. Es wäre doch eine große Erleich-
terung, wenn man wieder von Koblenz bis Trier fahren könnte. Wir haben
einmal gespritzt. Durch die Bombentrichter haben wir 1000 Stöcke verloren.

32 Bomben sind nach genauer Zählung in den Berg gefallen. Es ist wie ein
Wunder, dass wir mit einem blauen Auge davon gekommen sind. Das beste
u. gesuchteste Genussmittel ist Tabak. Alle Winzer u. Weinhandlun-
gen müssen Wein abgeben, nur können die Weinhandlungen 50 % wieder beim
Winzer einkaufen. Die abzugebenden Weine lässt man bewerten u. haben
für 44er Natur 1700 M. u. Verbesserten 1600 M. mit 35 % Zuschlag
für Selbstvermarkter. In normalen Zeiten ein schöner Preis, wenn aber eine
Kuh 3000 M. kostet, eine Null.

Vetter Karl ist noch in Italien, hat vor 3 Tagen geschrieben, lässt fragen,
wie es Dir geht. Nochmals die Eisenbahn: von den 8 Viaduktbögen sind
2 Stück wieder frisch gewölbt, man will vorläufig eingleisig fahren.
Das Reiler-Hals-Tunnel ist auch wieder fahrbar, man hatte 5 Lokomotiven u.
eine 10-Zentner-Bombe darin gesprengt; ohne das wäre der Krieg nicht verloren
gegangen. Wie bekannt, war das Dach vom Heiligenhäuschen durch Aribeschuss
vom Reiler Hals total beschädigt, auch der Kirchturm hatte schwer gelitten,
sodass er bald umgefallen wäre. Durch Einziehen neuer Balken u. mit Brettern
neu verschalt konnte die Gefahr beseitigt werden. Ausgeführt wurden die
Arbeiten vom Brückenbaukommando. Durch Einsturz der Schiefergrube Gute
Hoffnung konnte noch kein Schiefer besorgt werden. Jetzt soll [von]Lenz Albert,
welcher eine Grube aufgemacht hat, welcher beschafft werden. Für die Arbeiten
musste jeder Winzer pro 1000 Stock eine Flasche Wein abgeben. Simon
Roman ist in Frankreich in einem Bergwerk tätig. Auf Lager haben wir
1 Fuder 43er Natur u. 500 Ltr. 44er Verbesserten. 20 % hat man uns gelassen.

Fast jeden Sonntag wird Fußball gespielt, neulich war Koblenz-Neuendorf
hier. In Bullay beim Metzen ist wieder Kino. Auch spielte in Zell u.
Trarbach die Theatergesellschaft- Mosel-Soonwald-Hunsrück. Auf anderen Plät-
zen spielt ein Kasperletheater. Vor 3 Wochen hat Lisbeth Dahm [8] nach
Bernkastel geheiratet. Wenn jetzt demnächst Jakob Hulten heiratet,
so ist die heiratslustige Ecke bei uns erledigt. Ab u. zu wird mal wieder
einer eingesperrt, zuletzt Schmalspuroffizier .… .… . An 2 Sonntagen
waren PGs [14] unter Aufsicht von Dominik Schneiders Panzergräben zuschaufeln.
Der gesprengte Fährmast ist um das geschlossene untere Teil gekürzt u.
wieder aufgestellt. Eine Ponte haben wir, da wir lange Zeit keine hatten,
Unsere tut Dienst in Reil von Briedern [unklar] . Bin immer noch im Fahren nach dem
Hunsrück u. Eifel. Bin am Suchen nach einem leichten Motorrad, da die alten
Knochen nicht mehr mitkommen. Wegen [des] Gewerbes habe [ich] Aussicht auf Zulassung.

Wenn es nicht schlimmer geht wie jetzt, so können wir zufrieden sein.
Kirschen gibt es zufriedenstellend, Äpfel, Zwetschgen u. Birnen wenig.
Es kann ja nicht jedes Jahr eine Rekordernte geben. Zucker gibt es keinen,
da wir bloß eine Zuckerfabrik in der franz. Zone haben. Tabak steht
hoch im Kurs, gut dass ich nicht rauche. Heute war Jos. Mertes [9] u. Frau zu
Besuch. Paul u. Maria [10] sind von Ottilie Gibbert [11] heute abend als alte Freundin
zum Meiabend eingeladen. Auf dem Handwerk hätte man viel zu tun, hat [aber] kein
Material, was soll man [noch] mit dem Geld machen. Hauptsache ist, sorgen dass man
was zum Leben hat. Erich [12] ist in der Scheidung. Wie weit die Sache ist,
weiß ich nicht. Heute müssen sich alle Leute von 14 bis 65 Jahren auf
der Schule melden wegen neuer Arbeitsbücher. So, jetzt weißt Du so ziemlich
Bescheid. Vetter Karl [13] hat am 14. Mai seine Eltern durchs Radio gegrüßt,
hat aber niemand gehört. Wir hören hier meistens den Koblenzer Sender.

Will schließen u. Dich von Allen grüßen
Dein Vater.

[1] Mertes
[2] Luzi Klaes, verh. L. Lütz
[3] Tilla Klaes, verh. C.Schmitz
[4] Lina Franzen
[5] Käthe Rau
[6] Hedwig Mentges, verh. H. Burg
[7] Mertes, Alf
[8] Lisbeth Dahm, verh. L. Busch
[9] Mertes, Alf
[10] Maria Mentges, verh. M. Mertes
[11] Ottilie Gibbert, verh. O. Schleindl
[12] Klaes
[13] Mentges
[14] Pgs: überzeugte Parteigenossen

In bestimmten Abständen werden diese Briefe von Pünderichern veröffentlicht, die das Leben und die Geschehnisse unseres Dorfes in der Vergangenheit zum Inhalt haben. Wir möchten Euch Interessantes über unsere eigene Vergangenheit bieten und gleichzeitig weitere Mitbürger dazu anregen, mit eigenen Beiträgen die Serie zu bereichern und um ihr Kontinuität zu verleihen.
Gleichzeitig bietet sich für uns alle dadurch die Gelegenheit, Wissen und Dokumente, die vielleicht in der nächsten Generation mangels Interesse und Schwerlesbarkeit nicht aufbewahrt werden, für unsere Nachwelt und Ortsgeschichte zu erhalten.Die Briefe werden auf den Seiten der Dorfchronik gesammelt.Wer eigene Beiträge zur Verfügung stellen möchte, wende sich bitte an:
Paul Ludwig Mertes,
Tel.: 0 65 42 – 2 20 10

Originalbilder des Briefes

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