Die Wallfahrt
An der jährlichen Wallfahrt nach Klausen nahmen in früheren Jahren viele Einwohner der Gemeinde teil. Man ließ sich mit der Fähre übersetzen und ging die Strecke zu dem damals noch existierenden Bahnhof Pünderich zu Fuß. Von dort ging es mit dem Zug bis Salmrohr und von da an wieder zu Fuß weiter bis nach Klausen.
An der Wallfahrt beteiligte sich auch der Johann. Dieser, ein Junggeselle, harmlos und brav und ohne Fehler; halt, einen Fehler hatte er doch; seinen großen Durst, den er aber nur selten löschen konnte, da er als Gelegenheitsarbeiter wenig Geld hatte.
Zur Wallfahrt hatte er sich einige Mark gespart und konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich einige Schoppen zu gönnen. Wie es der Teufel will, und der hatte es in diesem Falle bei dem Johann nicht schwer, konnte er an der nächsten Wirtschaft nicht vorübergehen und ging, anstatt in die Kirche, ins Lokal, weil ihn der Durst „schrecklich“ quälte.
Als sich die Wallfahrer der Gemeinde am Nachmittag wieder zum Heimweg sammelten, fehlte unser Johann. Als man ihn nach langem Suchen endlich in der Wirtschaft fand, hatte er einen schweren „geladen.“ Die Empörung der anderen Wallfahrer, die ihre Zeit mit Beten und Singen verbracht hatten, war groß und Johann durfte auf dem Heimweg nicht mit den anderen gehen, sondern mußte einen gewissen Abstand halten. Als man wieder mit der Fähre übersetzte, ließ man den Johann allein auf der anderen Seite stehen.
Als man ihn schließlich doch überholte, empfing ihn schon sein Bruder mit den heftigsten Vorwürfen. „Johann, schommst de dich ned, dou blamerst de ganz Famillich. Os Äldere dären sich em Graaf erimdrähe. Dou Trunkebold, dou Seffa, kimms voll von Klouse heim.“
Johann hörte sich die Schimpfkanonade seines Bruders an und während ihm die hellen Tränen durchs Gesicht rannen sagte er: „Joa, äich do mäich joa och schomme, awwa eind moßde ma glawe Brora: Äich woar nur en good katholische Wertschafte.“
Die gruuß Meck
Wenn ältere Menschen die Zeit ihrer Jugendjahre oft besser ansehen wie sie in Wirklichkeit war, so möge man dafür Verständnis haben. Man erinnert sich an Zeiten als uns die heutige Hektik noch nicht überfallen hatte und will manchmal die Nachteile der damaligen Zeit nicht wahr haben. Man sieht oft die Geschehnisse in der Jugendzeit in einem verklärten Licht.
So denkt man zurück an die Ruhe und die Zufriedenheit an den Wintertagen, als die Nachbarn zu Besuch kamen und in dem einzigen beheizten Raum im Haus, also in der Küche saßen. Wenn das Vieh friedlich im Stall lag und wiederkäute (irrarichte), so viele Jugendliche wissen gar nicht mehr, wie eng die Kuh oder die Kühe zum Haus gehörten und die Arbeit bestimmten, ja, wie man sich an sie gewöhnen konnte.
So erinnere ich mich an einem Abend im Winter, ich war noch ein Kind, als mein Vater beim Essen, bei „gedämpt Grombiere“ und Wurst vom letzten Schlachten, plötzlich zu mir sagte: „Äich gien morje med da Bläss (das war unsere Kuh) noa Enkirch. Wennsde wells, kannsde medie.“Über das Angebot war ich bass erstaunt. Ich war ja noch kaum übers Dorf hinaus gekommen und sagte begeistert zu.
Morgens, schon zeitig, stand mein Vater an meinem Bett und sagte: „Stieh off, Jung. Mir meese noa Enkirch.“ Ich war sofort hellwach und freute mich auf den Ausflug in die große, weite Welt. Nach dem Frühstück nahmen wir die Kuh aus dem Stall und machten uns mit ihr auf den Weg.
Sie ging friedlich mit uns. Sie wusste ja nicht, was ihr bevorstand. Auch ich hatte mir über den Zweck unserer Reise noch keinerlei Gedanken gemacht.
Als wir nach geraumer Zeit in Enkirch ankamen, ging mein Vater zielsicher in einen Stall, band die Bläss dort an und sagte zu mir: „Woart e bessje. Äich gien groat end Hous on kumme gleich zereck.“
So geschah es und wir machten uns zusammen auf den Rückweg. Doch nach kurzer Zeit überfiel mich ein gewaltiger Schreck: „Vadda, mia hon joa die Bläss stieh geloas.“ „Die Bläss gefft geschlacht,“ sagte mein Vater. Mein Schrecken war ungeheuerlich und ich fing an zu weinen: „Die gäf noch vill Mellich, hoat de Modda gesoat, on de vierich Woch hoat se noch ganz allan de Plooch gezoche. Komm mia gie zereck on hulle de Bläss wirra med heim.“
Mit diesen Worten drehte ich mich um und sah, daß sich mein Vater mit dem Taschentuch über die Augen wischte und ich rief: „Dou hails joa och.“ Aber ein Vater der weint, ist doch etwas undenkbares und er wurde böse, wie ich ihn selten gesehen hatte: „Dumme Jung, als off däine Vadda wäjen er ahla Koh haile dät, mia es en gruuß Meck end Au gefloche.“
Der erste Abstich
Es war in früheren Jahrzehnten auch bei den Winzern eine Seltenheit, dass Wein getrunken wurde. Das war höchstens an hohen Feiertagen einmal der Fall. Die meisten, von gewissen Ausnahmen einmal abgesehen, waren viel zu arm um sich guten Wein leisten zu können.
Das tägliche Getränk war Tresterwein, in der Mundart „Fluppes“ genannt, der oftmals abscheulich schmeckte. So kann man durchaus für diejenigen Verständnis haben, die sich in der Nachgärung gerne im Keller aufhielten, denn dann fiel es nicht besonders auf, wenn der Faßinhalt etwas weniger wurde, oder auf jene, die sehnsüchtig auf die Zeit des 1. Abstichs warteten, denn dann kam es den meisten Winzern auf ein paar Glas Wein nicht an.
So darf man sich nicht wundern, wenn bei einem solchen Anlass nicht nur die Verwandten und Nachbarn einfanden, sondern immer noch einige, die förmlich rochen, wo abgestochen wurde.
So war es auch seinerzeit einmal bei uns. Das Gedränge in dem engen Keller war so groß, daß der Küfer kaum noch seiner Arbeit nachgehen konnte. Nun gab es damals noch sehr dicke Schwefelschnitte „Braaring“ genannt, die gab mir mein Vater heimlich in die Hand und sagte leise zu mir: „Hull dat Strejchholz, on steach de Braaring on, on werf se zweschen de Fässer, awwa pass off, daret kaane sejt.“
Das wollte ich auch tun, aber der Versuch scheiterte kläglich. Ein schon älterer Nachbar, dem mein Tun etwas verdächtig vorkam, packte mich plötzlich am Genick und sagte unter allgemeinem Gelächter zu meinem Vater: „Heinrich, off de Tour greeste us ned ous dem Keller, mia don lewa bessje hoste wie Duuscht leire.“
Und so geschah es auch; man hustete zwar, aber blieb stehen und trank weiter.
Inflationszeit nach dem 1. Weltkrieg
In der Inflationszeit nach dem ersten Weltkrieg geschahen manchmal seltsame, für heute lebende Menschen kaum glaubliche Dinge. So erzählte mir ein Onkel folgende Geschichte:
In der Scheune meiner Eltern trieben sich seit längerem Marder herum. Dem wollte ich ein Ende bereiten und tatsächlich fing ich in einer von mir aufgestellten Falle ein solches Biest. Das Fell trug ich nach Bullay zu einem Händler, dieser, scheinbar ein ehrlicher Mann, zahlte mir dafür eine unglaublich hohe Summe.
Nahe unserem Hause wohnte ein Schreiner, der sich erst kürzlich selbständig gemacht hatte und scheinbar noch Schulden abzuzahlen hatte. Dem zeigte ich das Geld indem ich sagte: „Guck emoal Jakob, watt mia dä Judd vill Gäld gänn hoat.“
„Willi, sagte der, ich mache Dir ein Schlafzimmer dafür.“ Das war ein tolles Angebot, denn ich wollte in Kürze heiraten. Ging heim und erzählte mein Glück meiner Mutter. Diese war entsetzt: „Willi, wie kannst dou su vill Gäld fier e Schloafzemmer gän, drie et gläich off de Kass.“
Das tat ich auch und konnte mir nach ein paar Wochen noch eine Schachtel Streichholz dafür kaufen.
In diesem Zusammenhang kann man auch einem Mann Verständnis entgegenbringen, der seiner Frau den Essenstopf (dat Marmittche) über den Kopf stülpte und dabei empört rief: „Dat ess doch en Fraaß fier en arme Mann un kei Esse fier en Milliardär!“.