Das Rheinland, die frühe Heimat deutscher Kultur, war von Roms Zeiten her vorzugsweise der Schauplatz der deutschen, ja der europäischen Geschichte. An die geschichtlichen Stätten unserer Heimatregion, wie Burgen, Klöster und Kirchen, kann man daher bedeutsame historische Erinnerungen knüpfen. In verbindlicher Form, aber auch mit freien Gemälden der Fantasie und nicht zuletzt mit einem Hauch Poesie entwickelten und bildeten sich damals legendäre Erzählungen und Sagen, die sich teilweise bis heute erhalten haben.
Wenn wir es auch nicht so überschwänglich halten wollen mit den uns zur Verfügung stehenden Pündericher Sagen und Legenden, so ist es doch wohl wichtig, wenn diese Erzählungen mal wieder aus dem verstaubten Bücherschrank herausgekramt und dem interessierten Leser zugänglich gemacht werden.
So soll der heutige Bericht bewusst dem „sagenumwobenen Pünderich“, den Sagen und Legenden gewidmet sein. Man muss nicht unbedingt sentimental veranlagt sein, wenn man sich zurückversetzt in die Kinderjahre. Es lohnt sich schon, das Studium um unsere Sagen und Mären! Ist es nicht so, dass man zurückdenkt an die Zeit unserer Ahnen, der Großeltern und Urgroßeltern, an eine Zeit die von Romantik umhüllt war, wo beim trauten flackernden Schein der Petroleumlampe, im trauten Kreise der Familie, so manche Legende und Sagen zum Vortrag kamen, die uns, die wir damals noch Kinder waren, manchmal in Erstaunen versetzten und mitunter furchtsam werden ließen.
Die wohl Bedeutendste und eindrucksvollste Pündericher Sage hat zum Inhalt:
„Die Marienkrone von Pünderich“
Am Moselufer bei Pünderich stand in früheren Zeiten eine gotische Kapelle aus dem 13. Jahrhundert. Man hat sie im Jahre 1846 wegen Baufälligkeit abgerissen.
Den kleinen Marienaltar zierte einst eine kostbare Statue der Gottesmutter, die auf dem Haupt eine goldene Krone trug. Das wertvolle Stück hatte ein reicher Pündericher Winzer aus Dankbarkeit gespendet, weil seine Frau auf die Fürbitten der Himmelskönigin von einer schweren Krankheit geheilt worden war.
Einmal kam ein Raubritter vom Hunsrück an die Mosel geritten. Als der gottlose Grobian die Kapelle entdeckte, verspürte er aus heiterem Himmel die heftigsten Raubgelüste. Schwere eisenbeschlagene Stiefel krachten gegen das erbärmliche Pförtchen, bis es auseinander brach. Dann ließ er sein Ross mit schallenden Hufen über die blanken Fliesen schreiten. In allen Ecken und Winkeln suchte er begierig nach wertvollem Zierrat und Kirchengerät. Zuerst fand er nichts außer ein paar kahlen Bänken und Wänden. Als aber sein Blick auf die goldene Marienkrone fiel, ließ er ein schallendes Gelächter ertönen, dass es schaurig im Kapellenrund widerhallte. „Liebes Mütterchen, was brauchst du eine goldene Krone?“ rief er. „Bist doch in der Kirche vor Wind und Wetter geschützt und erfrierst dir nicht die Ohren!“ Dann ergriff er das edle Stück mit gieriger Hand, setzte es seinem Ross aufs Haupt und rief: „Ziert deine Krone nicht auch mein Pferd wie eine Königin?“
Sein Gelächter aber wurde nur noch lauter und schauriger. Kaum saß das goldene Stück auf der Mähne des Pferdes, da befiel eine unheimliche Unruhe das arme Tier. Es begann mürrisch mit den Vorderhufen über die altersgrauen Bodenfliesen zu scharren, warf dann den Kopf mit wehender Mähne wild umher und setzte schließlich mit mächtigen Sprüngen zur Kapelle hinaus. Geradewegs sprengte es auf die nahe Mosel zu. Da wurde dem Raubritter mit einem Schlage angst und bange. So unflätig er auch fluchte, so heftig er an den Zügeln zog und zerrte, das rasende Tier ließ sich nicht mehr zum Stehen bringen. Von überirdischer Macht getrieben, galoppierte es blindlings auf den Moselstrand zu und sprang im hohen Bogen in die aufschäumenden Wogen. Im Nu waren Ross und Reiter und auch die goldene Krone im Strom versunken und tauchten nie wieder auf.
Bis auf den heutigen Tag erkennt man die Unglücksstelle auf der Mosel, wo die Flut den Gottesfrevler verschlungen hat, an einem weiß schäumenden Strudel.
„Die Marienkrone“
Es liegt am Moselstrande Ein Dörfchen, schmuck und klein; Und Wiesen, Wald und Felder fassen es freundlich ein. |
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Von ferne winkt die Rebe Und beut der Traube Blut. Von Pünd’rich eine Sage Erzählt die Moselflut. |
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Der böse Ritter Clodwig kam an den Moselstrand, den Rittern anzubieten der einz’gen Tochter Hand. |
Doch, er kannt‘ kein Bedenken. Den Schmuck, den er geraubt, Legt unter Spott und Lächeln Er auf des Rosses Haupt. |
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Als er auf stolzem Rosse Durch Flur und Wälder saust‘, brach los ein Ungewitter. Es stürmte und es braust‘. |
Des Frevlers harrt die Strafe. Es stürmt das Ross hinaus. Nichts scheut’s mehr Blitz und Donner Hin rast’s im Sturmgebraus. |
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In weiter, weiter Runde Bot sich kein Zufluchtsort. Durch Blitzesglut geschrecket Das Ross rast eilig fort. |
Zum nahen Moselflusse. Ein Schrei aus Clodwigs Mund – Und Ross und Reiter sanken Hinab zum tiefen Grund. |
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Am Kreuzweg sah der Ritter Still die Kapelle stehn. „Die kann zum Obdach dienen Gen Blitz und Sturmeswehn.“ |
So ward dem frechen Frevler Bald den verdienten Lohn. – Das Gnadenbild nun schmücket Von Silber eine Kron‘. |
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Auf dem Altare sah er Mariens Gnadenbild; Doch schaut er nicht die Züge Der Gottesmutter mild. |
Dort, wo die goldne Krone Versank in grüner Flut, Erfasst den Schiffer Grauen; Er zagt in bangem Mut. |
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Nein, eine goldne Krone Des Ritters Blicke bannt; Sie schmückt das Haupt Mariens Es bebt des Räubers Hand |
Die Woge zischend, brausend Am Felsenrand sich bricht. Ein fromm Gebet der Schiffer Zur heil’gen Jungfrau spricht. |
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Und stärker rollt der Donnerstag Hin über Flur und Feld. Des Blitzes grelles Leuchten Die Waldkapell erhellt. |
Oft, – so erzählt die Sage – Sah man in heil’ger Nacht Hinrasen Ross und Reiter. Es strahlt der Krone Pracht. |
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Es leuchtet‘ weit im Dunkeln Der Zügel Feuersglut; Dann sanken Ross und Reiter Hinab zur grünen Flut. |
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Verfasser unbekannt |
„Das Grafengeschlecht Pinnen“
Die Sage berichtet von zwei Brüdern aus dem Grafengeschlecht Pinnen. Es heißt da wörtlich.:
Ein Graf Pinnen hat vor der Erbauung der Marienburg selbst das Schloss (Burg) bewohnt. Dieser Graf hatte zwei Töchter, aber keinen Sohn. Beide Töchter seien unvermählt geblieben und die eine derselben, namens Maria, habe nach dem Tode des Vaters das Kloster erbaut und nach ihrem Namen „Marienburg“ benannt. Auch sei sie als erste Äbtissin des Klosters daselbst gestorben. Von der zweiten Tochter, Aldegunda, berichtet die Sage nur, dass sie das Dorf Aldegund gegründet haben soll. Einweiterer Graf Pinnen, der Bruder des oben Genannten, welcher kinderlos war, soll eine Burg an der Grenze der Gemarkung Pünderich, in Richtung Briedel, gehabt haben.
Es ist der Ort, wo heute das „Poereser Wäldchen“ steht. Obwohl keine Mauerreste mehr zu sehen sind, spricht die eigentümliche Formation der jetzt mit Bäumen bewachsenen Stelle dafür, dass dort eine Burg oder ein Schloss gestanden hat. So findet auch heute noch die örtliche Benennung (Katastereintragung) der Stelle vor dem Poereser Wäldchen ihre Bestätigung in der Distriktbezeichnung „Burggraben“.
Auch glaubt die Sage zu wissen, dass die Urbezeichnung des Namens „Pünderich“ früher „Pinrich“ gelautet haben soll und die Namensgebung von eben diesem Grafen Pinnen herrührt. Es ist schließlich noch erwähnenswert festzustellen, dass wirklich auf alten, uns vorliegenden Landkarten der Ort Pünderich als „Pinrich“ bezeichnet wird. Im Geschichtsablauf der vergangenen Jahrhunderte ist aber keine Bestätigung zu finden über die Existenz des Grafengeschlechtes Pinnen, so dass ihr legendärer Ursprung wirklich nur in den Ausführungen dieser alten Sage verzeichnet ist.
„Die verzauberte Schlange“
Die Sage berichtet von einer verwunschenen Nonne, die in eine Schlange verzaubert worden sei. Es heißt in der Erzählung wie folgt:
Im Weinbergsdistrikt „In der Grub“ unmittelbar unter der Marienburg gelegen, arbeitete einst einsam und mühsam ein Pündericher Winzer. Niemand war weit und breit zu sehen. Als der Winzer sich etwas von der schweren Arbeit ausruhte und sich in eine Wingertszeile hingesetzt hatte, schlich eine große Schlange an ihn heran, die auf dem Kopfe eine goldene Krone trug. Der tödliche Schreck, der den Mann bei diesem Anblick überkam, lähmte ihm die Zunge, und er war nahe dran, in Ohnmacht zu fallen. Als er sich etwas erholt hatte, fing die Schlange zu sprechen an und sagte: „Fürchte dich nicht, guter Mann, ich tue dir nichts zu Leide, ich bin auch nicht, was ich scheine, es liegt daher in deiner Macht, mich und dich glücklich zu machen.“
Durch diese Ansprache bekam der Mann viel Mut, dass er, obwohl zitternd, fragte: „Was soll ich denn tun?“ Die Schlange antwortete: „Komm morgen zur selben Stunde wieder hierher, aber allein, ich werde dann ebenfalls in derselben Gestalt wieder erscheinen und einen Schlüsselbund ums Maul tragen. Diesen Schlüsselbund nimm mir dann ab und folge mir, wohin ich dich auch führe, alsdann ist uns beiden geholfen.!“ Und ganz eindringlich bat sie ihn: „Um alles in der Welt, gib morgen keinen Laut von dir, sonst ist alles vergebens!“ Der Winzer versprach, am nächsten Tage wiederzukommen. Auch wurde ihm von der Schlange noch eingeschärft, kein Sterbenswort auf dem Heimweg und zu Hause zu erzählen.
Als der Winzer sich anderntags zur rechten Zeit an derselben Stelle wieder eingefunden hatte, kam auch die Schlange mit der Krone auf dem Kopfe wieder angekrochen. In ihrem Maul hielt sie einen großen Schlüsselbund. Doch als die Schlange sehr nahe an den Winzer herankam, um ihn zur Übernahme des Schlüsselbundes zu bewegen, überkam ihn wieder ein solcher Schrecken, dass er mit einem Angstschrei rücklings zu Boden sank. Er konnte noch gerade sehen und hören, wie die Schlange einen markerschütternden Verzweiflungsschrei ausstieß und sich dann in die Gestalt einer Nonne verwandelte. Dann umnebelten sich seine Sinne, und er fiel in eine Ohnmacht, aus der er erst nach langer Zeit erwachte.
Von der Schlange bzw. der Nonne war nichts mehr zu sehen. In diesem Zusammenhang hat der Volksmund diese Sage weiter geflochten: Man weiß zu erzählen von vergrabenen Schätzen, von einer Schlange bewacht, die den Schlüssel, der allein die Schatzkiste öffnen kann, im Maul hält. Nur ein reines Mädchen kann den Schatz gewinnen, wenn es den Schlüssel mit dem Munde aus dem Maul der Schlange nimmt. Das ist bis heute noch keinem Mädchen gelungen?!
„Fähr- und Barlmannes“
Dieser soll zu Zeiten, namentlich in der Zeit der hohen Festtage, in der Nacht als glühender Reiter auf feurigem Pferde, von der Barlspitze in Sturmwindseile bis zur Pündericher Fähre reitend gesehen worden sein, von wo er, nach kurzem Anhalten, wieder zurückraste und an seinem Ausgangspunkt verschwand. Ob es ein Schuldbeladener aus kriegerischen Zeiten war, der zu seine Buße, die vorhin erwähnten Stätten, wo seine Gebeine ruhten, in solcher Gestalt besuchen musste? Was es sonst sein mag, davon berichtet die Sage nichts.
Zu anderen Zeiten rief er in dunkler Nacht, unkenntlich am jenseitigen Ufer: „Hol über, hol über!“ Ließ sich der Fährmann dann bewegen, den vermeintlichen Fremden mit seinem Nachen herüberzuholen, so stieg der ganz in schwarz gekleidete Fremde wohl ein und setzte sich indessen ganz vorne auf die Spitze des Nachens. War dann der Nachen auf der Mitte der Mosel angekommen, so sprang er, in einen großen Hund verwandelt, ins Wasser und ward nicht mehr gesehen.