Klatsch und Tratsch

Ein Pündericher in Nigeria Teil III

(Für den letzten Rundbrief hatten wir ein paar Bilder von Stephans Facebook-Profil allen Lesern bereitgestellt. Momentan sind noch keine neuen Bilder zusehen. Wir werden aber bei zukünftigen Rundbriefen immer mal wieder nachschauen. So können auch alle die Fotos sehen, die selbst keinen Facebook-Account besitzen. Das Team von plan33).

…immer noch Stephan Mertes und immer noch Awgu, Enugu State, Nigeria…

Ein neuer Rundbrief bei Zeit, weil die Zeit sich so beeilt.

Drei Monate vergingen wie im Schlaf. Ungefähr ein Viertel der Zeit ist leider schon um.
Während ich diese Zeilen unter dem wunderschönen sternenüberfluteten Himmel Afrikas tippe, prasselt der allabendliche Regen so unüberhörbar laut auf die Blechdächer des Dorfes, als wolle er jedem hier ins Ohr schreien:“Hier bin ich erneut, geht nach Hause und haltet euch und eure Liebsten warm und trocken!“, sodass auch der Letzte bemerkt: „Ein weiterer Tag neigt sich dem Ende zu.“ Die Abende werden später, die Biere häufiger und damit die Gespräche offener, tiefer, besser. Kurz und gut: Ich habe mich eingelebt!

Vorweg erst einmal, wer Fotos sehen möchte, der sollte sich mal bei mir in Facebook umschauen. Es ist aufgrund meiner eher schlechten Internetverbindung leider der einzige Weg Bilder hochzuladen. Wer kein Facebook hat und es sich auch unter keinen Umständen anschaffen möchte sollte mich oder meine Mutter mal anschreiben, dann überlegen wir gemeinsam, wie wir das irgendwie hinkriegen, den Kram unter die interessierten Leute zu bringen. Es wäre aber echt sehr schön und es würde mir ein großes Stück Arbeit ersparen, wenn ihr euch einfach bei Facebook anmeldet. Man kann sich ja zu jeder Zeit wieder abmelden und es ist kostenlos. Desweitern bitte ich alle orthographischen- und vor allem meine Kommafehler zu entschuldigen. Ich war noch nie Genie was Kommasetzung angeht! Imela (Danke)

Wie euch vielleicht in den letzten Rundbriefen aufgefallen ist, ist hier nie etwas einfach mit einem Satz abzuhacken, es gibt immer ein „aber“, manchmal ein positives, manchmal ein negatives. Das hängt davon ab, wie ich mit meinen Worten jongliere oder meine Sätze drehe. So auch in Sachen Müll-“Entsorgung“. Alles was nicht mehr zu gebrauchen ist wird angezündet, es riecht hier also manchmal auch ein bisschen unangenehm nach Plastikrauch oder anderen verbrannten Dingen. Wie ihr euch denken könnt kommt jetzt wieder dieses „aber“. Teile meines Mülls, wie zum Beispiel leere Plastikflaschen oder Kronkorken (ich hab von beidem meistens genug) machen, bevor sie sich zu ihrer letzten Ruhe betten und eingeäschert werden einen kleinen Umweg über überglückliche Kindergesichter. Diese Gesichter, die auf mich wie eine Endorphin- und Aufputschdroge wirken, entstehen, wenn ich einem Haufen 2-8 jähriger die vor meinem Haus spielen „Bia“ zurufe, was soviel bedeutet wie „Komm her“. Die Stimmung ist perfekt, wenn sie dann von mir ein paar Sachen in die Hand gedrückt bekommen. Mein Herz erwärmt sich schlagartig, als hätte man es in kochendes Wasser geworfen, wenn ich die Kinder dann am nächsten Tag sehe und bemerke wie aus meinen Alten Flaschen Spielzeugautos wurden und aus meinen alten Kronkorken kleine „Alufelgen“. Das Beste daran ist, dass dieses kochende Wasser, welches mein Herz wärmt glücklicherweise nicht dazu in der Lage ist dieses zu verbrühen….Ich kriege nicht genug davon!

Ich hatte mittlerweile eine Gelegenheit meinen Anzug zu tragen, bei einer Bankeröffnung (IMF Bank: Ifeanyichukwu Micro Finance Bank), übrigens benannt nach unserem Bischof, erregte ich aufmerksame Heiterkeit durch die ungewohnte Tracht, die die Menschen eigentlich nur von Geschäfts- und Staatsmännern, oder Angestellten einer Bank erwarteten. Nichtsdestotrotz war ich passend gekleidet und machte einen guten Eindruck, „Ich habe euch also gut repräsentiert meine mitdeutschen Freunde.“ Zu meiner großen Freude war es aber auch eine Veranstaltung bei der wieder ganz ganz viel Musik zu hören und Tanz zu sehen war. Es tanzten zuerst eine Tanzgruppe junger Frauen, so ca. mein alter und danach eine Auswahl einiger Frauen aus der CWO (Catholic Women Organisation), so etwas wie eine Frauengemeinschaft. Ich war angenehm überrascht und begeistert, wie sich Frauen die teilweise aussehen wie 70 noch bewegen und rumspringen können. Am Ende tanzten auch ein paar Männer, ich schätze mal dass sie sich im Alter zwischen Ende 20 und Mitte 30 befanden. Krass wie die hier abgehen, da fühlt man sich eher wie ein Baby ,dessen motorische Fähigkeiten sich noch im Anfangsstadium befinden und man langsam versucht ein kleines Puzzleteil zu greifen und dabei kläglich versagt, als wie ein zumindest körperlich ausgewachsener junger Mann. Alle Tänzer und Tänzerinnen hatten traditionelle Kleidung und Fußrasseln, was mit der Musik, die ich mich nicht weiter wage zu beschrieben, weil jeder Versuch zur Erklärung, dieser kunstvoll aufgebauten Klangräume, der überwältigenden Wucht, die davon ausgeht, nie und nimmer gerecht werden kann. Ein überwältigendes Schau- und Zusammenspielt aus Sound, Bewegung, Euphorie und Leben.

Meine Arbeit läuft weiterhin sehr gut, ich habe jetzt einen Stundenplan und muss also auch nicht Stunden anderer Lehrer unterbrechen, was mir glaube ich mehr ausmacht als ihnen, um meinen Stoff der Woche durchzubringen. Ich dachte ein paar Minuten auf dem Weg zur Schule an dem Tag an dem ich meinen ersten Test schrieb: „Das wird ein Sprung ins kalte Wasser!“ Ich wusste ja nicht, inwieweit die Schüler mein Englisch, meine Art zu unterrichten und meinen Lehrstoff verstanden und verinnerlicht hatten. Meine kleine Unsicherheit löste sich aber in Luft auf, als ich den Test am selben Tag fertig korrigiert zurückgab und auf ein richtig schön durchschnittliches Ergebnis stolz sein durfte. Die Schüler waren sehr zufrieden. Naja fast alle, ein paar hatten natürlich auch fünfen und sogar eine sechs musste ich leider an einen eigentlich vernünftigen, intelligenten Jungen vergeben, der aber offensichtlich während meiner Stunden aus dem Fenster gesehen hatte, aber wie gesagt „richtig schön durchschnittlich!“ Im Großen und Ganzen hatten die zwei Klassen (mehr als 80 Schüler) Der Primary 6 a und b unserer „Presentation Nursery/Primary School“ in der ich Musik, Deutsch und Französisch unterrichte, zumindest den abgefragten Stoff in Musik gut aufgenommen und gelernt ich durfte mich nämlich über neun Einsen und 13 Zweien freuen.

Auch eine andere Arbeit habe ich mittlerweile gemacht, es war für mich echt eine Überwindung und mein Hunger verwandelte sich an diesem ansonsten angenehmen Abend in ein unangenehm mulmiges Bauchgefühl, als ich mit vier anderen Kerlen 20 Hühner und Hähne rupfte. Beim ausnehmen musste ich aber passen, da ich sogar Probleme hatte dabei zuzusehen und zu allem Übel einer der Jungen auch noch ausversehen ,als er eines der Hühner mit aufgeschnittener Kehle zu seinem Rupfplatz trug, ca. einen halben Liter dieser Flüssigkeit gemischt aus Blut und anderen Körperextrakten über meinem Kopf und einer Schulter auslaufen ließ. Das hört sich alles für euch vielleicht ein bisschen brutal oder archaisch an, Hühner schlachten und so weiter, aber man spart das Geld für den Metzger und für die Jungs ist es eine ganz normale Abendbeschäftigung und auch sonst ist es hier total normal. Ich musste ihnen aber zu ihrer Enttäuschung sagen, dass es für mich nicht die angenehmste Arbeit sei und ich mir deshalb immer wenn ich wieder gefragt werde ob ich dabei helfen könne, schnell eine andere Beschäftigung suchen werde. „Sorry Jungs, das ist echt ne Nummer zu hart für mich!“

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Deutschland und Nigeria ist auch, dass hier kein Tag vergeht, an dem man keine schwangere Frau oder gerade gewordene Mutter sieht. Zudem erfreue ich mich jeden Tag neu darüber, wie viele Kinder es hier gibt. Das ist nicht nur die typische demographische Struktur eines „Dritte Welt Landes“, es ist auch einfach schön und erfrischend so viele kleine, agile und lebensfrohe junge Menschen in seinem Umfeld zu haben. Im Umkehrschluss muss ich mich natürlich dann auch über die demographische Verteilung meines Heimatlandes ärgern, die immer mehr zu veraltern scheint. Es ist sehr schade, dass es anscheinend kaum ein williges Paar in „good old Germany“ gibt, was sich über mehr als ein oder zwei Kinder freuen würde oder darf. Das ist leider leider eine typische Altersverteilung in Industriestaaten, wie ich es in meiner Oberstufenzeit und in der Vorbereitung meines Abiturs in meinem sehr prägenden und interessanten Erdkundeunterricht gelernt habe. Nicht ohne Grund denke ich über ein Geographiestudium nach meiner Rückkehr nach. Leute, Leute, macht Kinder!!!

Ich möchte jetzt erneut auf den Straßenbau in meinem Dorf/Stadt/Bistum/Bundesland eingehen, den ich im letzten Rundbrief schon kurz angeschnitten hatte. Der Stand der Dinge ist: Die Straße wurde auf ganzer Länge, dass heißt durch ca. 30 Dörfer, aufgerissen um sie neuzumachen. Sogar Maßnahmen zur Verbreiterung wurden schon vorgenommen. Das hört sich doch erst einmal echt klasse an. Wenn man aber nachfragt, oder seine Augen öffnet oder am besten beides zur gleichen Zeit, muss man leider ernüchternd zusammenschrecken. Diese verkehrstechnisch vielleicht sinnvollen Verbreiterungsmaßnahmen der Straße, die mir wirklich sehr fraglich scheinen, gestalten sich so, dass Raupen, Bagger und/oder andere Baumaschinen über Häuser am Straßenrand einfach drüber rollen, sodass nur fehlende Wände oder Trümmerhaufen daran erinnern, dass da mal was gestanden hat, indem Menschen gelebt oder gearbeitet haben. Als ich geschockt aber interessiert bei meinem Vorgesetzten, besten Freund und Pfarrer „Stan“ nachfragte, wie diese Bauunternehmen die Zerstörung von Häusern, also Privateigentum zu rechtfertigen vermögen, antwortete er mit einem bedrückten Gesicht: „Das sind dann halt illegale Bauten.“ Häuser die seit Jahrzehnten am Straßenrand stehen, werden also ohne Vorwarnung von einem auf den anderen Tag zu illegalen Bauten. Mir fällt nur ein Wort dazu ein, „riesen große Arschlöcher“, die sowas billigen und irgendwie legitimieren. Desweiteren habe ich erfahren, dass der Straßenbau nur vorgenommen wurde, weil demnächst eine Wahl ansteht und was macht sich besser im Wahlprogramm als von sich behaupten zu können: „Ich habe die ganze Straße neumachen lassen!“

Zu der Wahl möchte ich auch noch was sagen. Als mir eines Tages nach einigen Gesprächen über die politische Lage meines Gastlandes auffiel, dass sowohl Präsident, Gouverneur, als auch der zuständige für diesen Bezirk aus ein und derselben Partei kommen, fragte ich vorsichtig nach. „Komisch, dass immer alle dieselbe Partei wählen finde ich.“ Mir wurde geantwortet, dass ja bald eine neue Wahl anstände, die zumindest mit Fairness wirbt. Aber im selben Atemzug antwortete mir „Innocent“, ein ca. 60 Jahre alter unfassbar netter Mann den ich im Haus des Schneiders traf als ich meine ersten traditionellen und maßgeschneiderten Kleider zu einem Spottpreis abholte „They will make sure that they win again!“, „Die werden schon dafür sorgen, dass sie wieder gewinnen“. Er erläuterte nach einer meiner unqualifizierten Zwischenfragen, wie dass zu bewerkstelligen sei, dass dann halt ein paar Wahlurnen verschwinden oder ein Wahlhelfer ein paar tausend Naira mehr in der Tasche hat. Für mich und ich glaube auch für euch meine lieben Leser und Leserinnen ist nach diesem Satz alles klar: „riesen große Arschlöcher!“ Man wünscht sich den geregelten und fairen Wahlkampf Deutschlands. Naja ein Zitat, was mich sehr geprägt hat passt glaube ich ganz gut zu der Situation dieses kleinen Wahlhelfers, der sich ein bisschen was nebenbei verdient: „Drei Parteien, oder drei Mahlzeiten?“

Ich ärgere mich über die Korruption, z.B. auch immer wenn ich Polizisten sehe, die Geld aus Autos annehmen, aber daran wird sich nichts ändern, solange der Lohn der besagten Polizisten nicht ausreicht um Frau und Kinder zu versorgen. Dem bleibt glaube nichts hinzuzufügen und ich will mich auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, dass soll ja kein Bericht für einen Artikel im Stern über ein „korruptes Nigeria“ sein, sondern mein dritter Rundbrief. Außerdem kann man sich hier sowieso aus keinem Fenster lehnen, da hier jeder der es sich leisten kann seine Fenster vergittert. So auch in meinem Zimmer. Der Rest hat nicht einmal Fensterscheiben.
Einem Freund antwortete ich auf die Frage: „Bist du da unten eigentlich alleine, oder sind da noch andere so wie du?“, „ Ich bin alleine weiß, ich bin alleine europäisch, ich bin alleine deutsch, aber ich bin wirklich nie alleine!“ Das hat sowohl gute als auch schlechte Seiten, man verfällt eher selten, abgesehen während Telefongesprächen nach Hause, in Heimweh, aber man hat auch manchmal echt wenig Ruhe und ich bin ein Mensch, dem es sehr schwer fällt jemandem zu sagen:“ Hau ab, ich will alleine sein!“ So bin ich manchmal auch echt froh in Ruhe ein paar Stunden Französisch, Musik oder Deutsch für meinen Unterricht vorbereiten zu können. Der Großteil meiner Freizeit geht aber zweifelsohne damit drauf zu lesen und mich neu in alte oder in neue Bands zu verlieben, die mich leiten, verleiten und begleiten.

Falls es jemanden interessiert, hier eine kleine Aufzählung der meistgehörten Bands und Interpreten hier in Awgu: Chuck Ragan, Tomte, Bob Marley, Death Cab For Cutie, Foals, Kings Of Convenience, Damien Rice, This Familiar Smile, Art Brut, Gentleman, Taking Back Sunday, Bruce Springsteen, Kettcar, Hansen Band, Coldplay, Rumbleseat, Eric Clapton, Hot Water Music, Say It. Have It. Be It., William Fitzsimmons, From Autumn To Ashes, Fall of Troy, The Gaslight Anthem. Wie ich es erwünsche und erwarte entführen mich gewisse Titel immer wieder in gemischte Gefühle, in Zustände von Seelenruhe, Euphorie oder tiefster Gewissheit mich auf zu Hause zu freuen, ohne eine einzige Sekunde hier in Nigeria zu missen. „Wir sollen Raum um Raum durchschreiten und an keinem wie an einer Heimat hängen. „Mein Freund Hermann Hesse, das hast du gut gesagt. Emotional gesehen gibt es aber natürlich auch Probleme, die ich glaube ich wie folgt am besten beschreiben kann. Schwierig ist, dass man manchmal in Gedanken nach Hause schwelgen möchte und es braucht und man sich dann quasi darauf vorbereitet zu weinen, es aber genau dann einfach nicht funktionieren will, sondern dass man weinen muss, wenn man es grade nicht gebrauchen kann und einen diese Stimmung einfach überfällt. Die die mich kennen wissen aber, dass ich keinesfalls ein Kind der Traurigkeit bin und dass ich meistens auch einen Weg finde mich selbst wieder auf Kurs zu bringen. Also kein Grund zur Sorge, ich komme bestens zurecht.
Ach ja, um die zu beruhigen, die sich Sorgen gemacht haben, ob meine im letzten Brief angesprochene Erkältung nicht doch eine kleine Malaria war, mein Schnupfen (auf Ibo übrigens „Kata“) ist Geschichte und mein Ringfinger ist bestens verheilt, obwohl so eine kleine Entzündung hier in dem schwülen Wetter der Tropen eher schleppend verheilt. Nichtsdestotrotz bin ich wieder top fit!

Eine Sache gibt es aber doch, die mich innerlich auffrisst. Die mich von klarem Denken fern hällt, die mich zum Weinen bringt….viele Male…in meinem Zimmer, dem einzigen Ort indem ich das zulassen will und kann. Es passiert meistens im Augenblick zwischen Schlaf und Wachsein, im Halbdunkel der Augen, dem Moment, den ich eigentlich als ruhig, kurz und vergänglich in Erinnerung hatte. Es zieht der Tag noch einmal an mir vorbei. Ich denke an vieles, aber was mich jedes Mal wieder aufwachen lässt und ich dann bemerke, dass ich in diesem Halbschlaf ohne es zu merken geweint habe, ist folgendes. Ich sehe, höre, rieche, schmecke und fühle meine Schule in der ich unterrichte und sehe die strahlenden Gesichter dieser Kinder. Was mich schockiert ist aber, dass sie nicht nur lachen sondern dass auch und gerade die weinenden und leidenden Gesichter meinen Blick an sich fesseln. Wieder mal hat eines der Kinder, ob groß oder klein, ob gerad 3 oder schon 11 einige Stockschläge einstecken müssen. Es macht mir Sorgen, was mich da aufschrecken lässt. Das größte Problem an der Sache ist aber, dass es alles zweimal passiert. Irgendetwas verbietet es, dass es genug damit wäre es tagsüber in der Schule zu sehen, dabei zusammenzuschrecken, mein Gesicht dabei vom Lachenden ins Schmerzverzerrte wechseln zu sehen. Ich versuche es andauernd zu verdrängen, aber es will mir einfach nicht gelingen. Ich hoffe ich kriege das in den Griff, aber ganz und gar vergessen will und kann ich es nicht. Ich hoffe also, dass ich damit klarkommen werde und es mich loslässt, zumindest dann, wenn ich die Schule am Nachmittag verlasse.
Am Ende noch einmal etwas Schönes.

Erstens. Meine Mutter hat mir ein Packet geschickt, was jetzt endlich nach drei Wochen, aber gefühlten drei Jahren angekommen ist. Das meiste des Inhaltes ist nicht erwähnenswert, außer vielleicht ein paar wichtige Bücher für meine Unterrichtsvorbereitungen. Ein paar Sachen aber doch. Einige Briefe von Daheimgebliebenen und Sprudel, also Wasser mit Kohlensäure. Ich trinke es jetzt immer, wenn ich an zu Hause denken will oder muss.

Zweitens. Ich fühle mich manchmal wie ein kleiner edler Ritter, ein barmherziger Samariter oder St. Martin, der die Hälfte seines Mantels einem Bettler gab. Zwei Situationen möchte ich schildern in denen ich mir so vorkam, obwohl es eigentlich maßlose Selbstüberschätzung und vielleicht sogar Anmaßung ist. Eines Tages in der Schule, als ich unterrichtete verkündete ich glücklich und stolz über die schön vollgeschrieben Tafel: „Please copy this all.“ Die Schüler waren nicht sehr begeistert, aber ich war ungebrochen froh darüber, etwas kleines aus meinem Kopf, aus meinem Wissen, meiner Arbeit, die ich damit vorher im lernen in meiner eigenen Schulzeit und in den Stunden der Unterrichtsvorbereitung, durch die kleinen Kinderfinger, die fleißig in ihre Hefte schrieben, für eine ungewisse, sicher vergängliche Zeit verewigt sah. Eines der Kinder machte mich aber stutzig und verwirrte mich, es war ein kleiner Junge namens „Ebube“, er schien keinerlei Anstalten zu machen auch nur ein Wort von der Tafel abzuschreiben. Ich fragte ihn mit einem strengen Ton, ob er keine Lust hätte oder in das wirklich so extrem wenig interessiere. Er begann zu antworten, aber nach den Worten „Sorry uncle, I…I…“ kam ein Lehrer und schlug ihn mit seinem ca. ein Meter langen Stock übel auf den Kopf, ich zuckte zusammen, ging aber keineswegs, wie dieser Lehrer einfach weg und schrie mahnende Worte, ich fragte dann wieder, aber mit sanfterer Stimme: „Was ist los?“ Der Junge stammelte los und nach ein bis zwei Minuten hatte ich das Problem verstanden. Ebube hatte keinen einzigen Stift. Ich konnte nichts tun als ihn gewähren zu lassen, schlagen wäre für mich keine Alternative und auch nicht gerade problemlösend gewesen und schenken konnte ich ihm auch keinen, da ich dann jedem der Kinder hätte einen Stift schenken müssen. Nach der Stunde rief ich den Jungen zu mir an den Pult und wir warteten bis alle anderen den Raum verlassen hatten. Er starrte mich an, wahrscheinlich erwartete er erneut Prügel, die er aber nicht bekam. Stattdessen erhielt er von mir einen kleinen Kugelschreiber, dessen Ende von mir schon ganz schön zerkaut war (Ich kaue immer auf meinen Stiften rum). Der Junge nahm dankend an und verschwand hüpfend laufend, wie Kinder eben laufen, durch die Tür.

Die zweite Situation ist eine ähnliche, ich habe wieder etwas verschenkt und nach dieser Geschichte, versteht ihr auch wie ich auf St. Martin komme. Ein dunkler Abend, eine späte Stunde, ein donnerndes Gewitter. Ich hörte draußen vor dem Tor ein Auto hupen und hupen, Minuten lang. Normalerweise macht der Wächter immer nach dem zweiten hupen auf. Ich dachte: „Vielleicht hat er keine Jacke, keinen Regenschirm oder hat Angst vor dem Gewitter, wie es hier viele haben.“ Ich zog mir eine Regenjacke über, sonst hatte ich nichts außer einer Boxershort und Badeschlappen an, stürmte raus und als ich den ersten Riegel des Tors auf hatte, schlug der Blitz ca. 10 Meter neben mir ein. Ich sprang zur Seite und erschrak, so etwas Lautes und Helles hatte ich vorher noch nie gesehen oder gefühlt, aber ich dachte: „jetzt musst du das Tor auch ganz aufmachen.“ So geschah es und Ich rannte rein und schnappte einen Plastiktisch, den ich über meinem Kopf nach draußen zum Auto des Priesters trug. Der schrie mich an ich sollte reinlaufen, der Blitz würde mich erwischen und so weiter. Ich sagte zu ihm er solle endlich aussteigen und mitkommen. Als er die Tür wieder zuschlug rief er etwas von Handy und hohlen und vergessen und ich solle ins Haus gehen. Ich ging rein und sah ihn jetzt von innen am Tor hupen, der Torwächter kam aus einem Auto und öffnete das Tor. Er hatte wirklich keinen Regenschirm oder Jacke und sah an diesem dunklen Abend so alt, klapprig und bemitleidenswert aus. Ich eilte rein und holte eines meiner Handtücher, rann wieder raus und zog es unter dem verwirrten Blick des alten Mannes unter meiner Jacke hervor, sagte: „Gute Nacht“ und ging in mein Zimmer. Ich fühlte mich irgendwie echt gut und erfüllt und schlief gleich ein. Ich habe bis jetzt noch kein Danke gehört und will es auch gar nicht, es gefällt mir viel besser mich ruhig und für mich alleine ein bisschen zu freuen. Der Mann und ich wissen davon und das genügt mir.

So verbleibe ich dann und euch bleibt nur noch der letzte Abschnitt um das Kapitel „Steph in Afrika“ für eine weitere Zeit zu schließen, um auf den nächsten meiner Berichte zu warten.
Das war er, der dritte Brief von mir. Ich hoffe er hat euch gefallen und ich werde ihn so beenden, wie die zwei Vorherigen, mit denselben Worten und derselben Melancholie, die ich damit verbinde und zum Ausdruck bringen möchte:

Ka chi fu!
„Auf ein Wiedersehen in der Heimat“
Euer Steph

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